Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einer von denen werde, die mit leuchtenden Augen vom Kompost reden. Oder die über Tomaten sprechen, als ginge es um ihre Kinder. Aber hier bin ich. Papa, Mitte 30, mit einer Gießkanne in der einen und einer kleinen Gartenschaufel in der anderen Hand. Und das Beste daran: Noch nie habe ich mich so sehr bei mir gefühlt.
Der Anfang: Zwischen Stress und Samenpäckchen
Es fing ganz harmlos an. Ich wollte eigentlich nur mit den Kindern ein bisschen Radieschen auf dem Balkon aussäen. Eine dieser klassischen Kita-Ideen, bei der am Ende irgendwas in einem Joghurtbecher wächst. Nichts Weltbewegendes, einfach ein kleiner Zeitvertreib.
Aber irgendetwas hat sich dabei verändert. Ich habe gesehen, wie aus einem winzigen Samen etwas wurde. Wie täglich etwas Neues passierte – fast unbemerkt, aber stetig. Und plötzlich war ich jeden Morgen der Erste, der nach den kleinen Pflänzchen sah. Ich begann zu recherchieren. Was braucht so ein Radieschen eigentlich? Wann muss man nachsäen? Wie tief? Und ehe ich mich versah, hatte ich Töpfe bestellt. Erde. Samen. Ein kleines Gewächshaus. Und einen verdammt guten Grund, abends nicht mehr am Handy zu hängen, sondern mit Erde unter den Fingernägeln in der Dämmerung zu hocken.
Gärtnern gegen den Kopfchaos
Ich hatte lange nach etwas gesucht, das mich runterbringt. Nicht schnell. Nicht hektisch. Nicht wieder mit Druck. Joggen war okay. Musik auch. Aber beides fühlte sich nach Aktivität an. Nach „noch was, das ich tun muss“. Gärtnern ist anders. Es zwingt dich zur Geduld. Zur Langsamkeit. Und es zwingt dich zur Präsenz – denn wenn du einen Setzling vergisst, ist er morgen welk.
Du kannst keinen Salat zwingen, schneller zu wachsen. Du kannst keinen Sonnenstrahl bestellen, wenn der Tag grau ist. Du musst lernen, zu warten. Und genau das hat mir gutgetan. Ich musste nicht performen. Ich musste nicht effizient sein. Ich musste nur da sein. Und das war – nach Jahren im inneren Autopiloten – eine Offenbarung.
Mein kleines Beet, mein großes Glück
Was als Radieschenaktion begann, wurde bald zu meinem festen Abendritual. Ich schlich nach draußen, goss meine Pflanzen, rupfte Unkraut, stocherte in der Erde herum. Nicht produktiv. Nicht effizient. Einfach da. Ich merkte, wie meine Gedanken langsamer wurden. Wie sich Probleme, die mich vorher den ganzen Tag genervt hatten, auflösten oder kleiner wurden.
Und manchmal dachte ich auch einfach: gar nichts. Ich stand nur da, roch den Lavendel, sah einer Schnecke beim Kriechen zu oder freute mich, dass die Erdbeeren langsam Farbe bekamen. Es klingt banal. Aber es war heilsam. Und je länger ich das tat, desto mehr wurde es ein Teil von mir. Das Beet wurde zum Spiegel meines Zustands: Wenn ich es pflegte, blühte es auf. Wenn ich es vernachlässigte, verdorrte es – wie ich selbst manchmal.
Die Erde macht was mit dir
Da ist was Ehrliches in dieser Arbeit. Wenn du Erde in der Hand hältst, bist du geerdet – im wahrsten Sinne des Wortes. Du merkst: Das hier ist echt. Das ist kein Bildschirm. Kein Termin. Kein To-do. Das ist Natur. Leben. Kreislauf. Und du bist mittendrin. Nicht überfordert. Nicht beobachtet. Sondern verbunden.
Ich habe mit der Zeit gelernt, worauf es ankommt. Dass man mal loslassen muss. Dass nicht jede Pflanze durchkommt. Dass Schnecken manchmal schneller sind als du. Und dass es trotzdem weitergeht. Genau das hat etwas mit mir gemacht. Es hat mich ruhiger gemacht. Demütiger vielleicht. Und gleichzeitig mutiger. Ich konnte Dinge einfach mal laufen lassen – ohne die Kontrolle zu verlieren. Ich lernte, mit Misserfolgen umzugehen. Dass es okay ist, wenn etwas nicht gelingt. Und dass aus einem alten Blatt oft Platz für Neues wird.
Papa als Gärtner – mit Kind und Kanne
Meine Kinder sind oft dabei. Mal mit, mal ohne Lust. Sie gießen, sie graben, sie buddeln mir die frisch gesetzten Pflänzchen wieder aus. Und trotzdem – oder gerade deswegen – ist es schön. Wir haben gemeinsam Hochbeete gebaut. Samen eingepflanzt. Erdbeeren genascht. Uns über Regenwürmer gefreut.
Und auch wenn sie oft nur fünf Minuten bleiben, nehmen sie etwas mit. Einen Moment. Einen Bezug zur Natur. Und das Wissen: Papa ist nicht nur der Typ mit dem Handy am Ohr oder dem Einkaufszettel in der Hand. Papa ist auch der mit den Tomaten. Und manchmal auch der, der die beste Möhre direkt aus der Erde zieht und mit einem Lächeln abbeißt.
Gärtnern wird zum Gespräch. Über Geduld. Über Natur. Über das Leben. Ich erzähle ihnen, warum Pflanzen Zeit brauchen. Warum wir nicht alles kontrollieren können. Und sie erzählen mir, wie sie sich fühlen. Zwischen Erde, Sonne und Gießkanne wird gesprochen, was am Küchentisch oft nicht gesagt wird.
Wenn ich nicht weiterweiß, gehe ich gießen
Ich habe festgestellt: Immer, wenn ich im Kopf festhänge, gehe ich raus. Ich nehme die Gießkanne und gehe meine kleinen Beete ab. Ich gucke, was wächst. Was nicht. Und was ich machen kann. Und irgendwie lösen sich dabei oft auch andere Dinge. Ich finde Klarheit. Entscheidungen. Oder einfach nur ein bisschen Frieden.
Gärtnern ist für mich wie Meditation mit Erde. Ich brauche keine App, kein Atem-Tracking. Ich brauche nur meine Hände, ein paar Pflanzen und ein kleines Stück Erde, das mir sagt: Alles gut, du darfst wachsen. Und wenn es regnet? Dann stelle ich mich trotzdem raus. Denn manchmal ist Nässe genau das, was wir brauchen – im Beet wie im Leben.
Jahreszeiten als Lebensbegleiter
Ich habe angefangen, die Jahreszeiten anders wahrzunehmen. Frühling bedeutet Vorfreude. Säen. Hoffen. Sommer ist Fülle – aber auch Arbeit. Gießen, pflegen, beschützen. Der Herbst bringt Abschied – und Dankbarkeit. Die letzten Tomaten, das letzte Mal gießen. Und der Winter? Der ist Ruhe. Stille. Rückzug.
In diesen Rhythmen habe ich mich wiedergefunden. Ich habe verstanden: Auch ich bin nicht immer gleich. Auch ich brauche Phasen. Wachstum. Ernte. Rückzug. Und: Ich darf sie mir nehmen. Ohne schlechtes Gewissen. Ohne Plan. Einfach, weil es menschlich ist.
Ich habe akzeptiert, dass es auch mal zu viel wird. Dass manche Tage eben nur zum Überleben da sind. Und dass das okay ist. Im Frühjahr beginne ich neu – nicht nur im Beet, sondern auch im Kopf. Im Sommer blühe ich. Im Herbst lasse ich los. Und im Winter atme ich tief durch.
Was ich mir zurückgeholt habe
Gärtnern hat mir nicht nur ein Hobby geschenkt. Es hat mir Zeit geschenkt. Und Tiefe. Es hat mir geholfen, mich selbst nicht zu vergessen. Es hat mir gezeigt, dass auch kleine Dinge – ein grüner Trieb, ein neuer Keimling – große Freude machen können.
Ich bin ruhiger geworden. Geduldiger. Auch im Umgang mit den Kindern. Ich kann besser aushalten, wenn etwas dauert. Wenn jemand langsamer ist. Wenn nicht sofort eine Lösung da ist. Und ich habe gelernt, dass Wachstum Zeit braucht – bei Pflanzen, bei Kindern, bei mir.
Ich habe mir selbst erlaubt, wieder Anfänger zu sein. Etwas nicht zu wissen. Fragen zu stellen. Fehler zu machen. Und darin liegt eine große Freiheit. Ich muss nicht alles im Griff haben. Ich darf lernen. Und ich darf daran wachsen.
Fazit: Ein bisschen Erde, ein bisschen Ruhe, ganz viel Ich
Ich bin kein Supergärtner. Ich vergesse das Gießen. Ich setze zu eng. Ich verliere jedes Jahr die Übersicht über meine Samen. Aber das ist egal. Weil es beim Gärtnern nicht um Perfektion geht. Sondern um Verbindung. Zur Erde. Zur Zeit. Zu sich selbst.
Und genau deshalb stehe ich manchmal abends im Halbdunkel auf dem Balkon, mit einer Gießkanne in der Hand und einem leisen Lächeln im Gesicht. Weil ich weiß: Ich bin angekommen. Nicht überall. Nicht immer. Aber oft genug.
Und in diesen Momenten, zwischen Basilikum und Bohnen, bin ich einfach: ich.