Du hast Regeln. Du hast Prinzipien. Du hast dir Gedanken gemacht. Wie du erziehst, warum du Dinge erlaubst – oder eben nicht. Du hast das mit dir ausdiskutiert, hast (vielleicht) Ratgeber gelesen, hast mit anderen Eltern gesprochen. Und dann steht da dieses kleine Menschlein mit verschränkten Armen, einem listigen Blick – und hebelt dein komplettes pädagogisches Fundament mit einem einzigen Satz aus. Willkommen im Club.
Ich dachte mal, ich sei vorbereitet. Klar in der Haltung. Ruhig im Ton. Souverän in der Umsetzung. Aber mein Kind hatte andere Pläne. Es war, als hätte er insgeheim ein Fernstudium in Rhetorik, Psychologie und Alltagslogik gemacht – und alles, was ich über Erziehung zu wissen glaubte, als Einladung zum Spiel verstanden.
Dieser Text ist für alle Papas (und natürlich auch Mamas), die das Gefühl kennen: Dein Kind durchschaut dich. Nicht, weil es dich nicht ernst nimmt – sondern weil es dich zu gut kennt. Und weil Kinder manchmal erstaunlich genau wissen, wie Erziehung „funktioniert“. Und wie man sie gezielt unterwandert.
Szene 1: „Du hast doch gesagt, man darf seine Gefühle zeigen“
Es war einer dieser Nachmittage, an dem ich versucht habe, meine müde Gelassenheit durch pädagogische Klarheit zu ersetzen. Mein Sohn wollte ein zweites Eis. Ich sagte Nein. Ruhig. Bestimmt. Durchdacht.
Er brüllte. Ich blieb cool. Sagte sowas wie: „Ich weiß, du bist wütend. Aber das Eis gibt’s trotzdem nicht.“
Seine Antwort: „Aber Papa! Du hast doch selber gesagt, man darf seine Gefühle zeigen!“
Und da stand ich. Erschlagen von meiner eigenen Philosophie. Innerlich dachte ich: „Touché, kleiner Mann.“ Äußerlich sagte ich irgendwas von „Ja, aber nicht brüllend“ – woraufhin er mich anblickte wie ein enttäuschter Professor.
Kinder sind klug – vor allem mit Sprache
Es fängt ja oft schleichend an. Erst zitieren sie dich, dann interpretieren sie dich. Und irgendwann argumentieren sie wie in einer Debatte:
- „Ich darf doch auch mitentscheiden, oder?“
- „Aber du hast gestern gesagt, Regeln sind für alle da!“
- „Wenn du Nein sagst, heißt das nicht, dass ich traurig sein darf?“
Diese Sätze kommen nicht aus Trotz. Sie kommen aus einer Kombination aus Beobachtung, kluger Interpretation und einem fast schon charmanten Versuch, die Welt zu verstehen – und dabei bitte möglichst viele Lollis zu bekommen.
Zwischen Stolz und Wahnsinn
Und da bist du dann, als Vater. Einerseits denkst du: „Wahnsinn, was er schon alles versteht.“ Und andererseits: „Warum dreht er mir damit jetzt jedes Argument um die Ohren?“
Ich habe oft gelächelt in solchen Momenten. Auch, wenn ich gleichzeitig völlig überfordert war. Weil ich es wirklich bewundere, wie klug Kinder mit Sprache umgehen. Wie sie Dinge aufgreifen, übertragen, weiterdenken. Und weil ich merke: Diese kleinen Tricks sind keine Manipulation – sie sind Teil ihrer Entwicklung.
Die Klassiker der pädagogischen Aushebelung
Hier eine kleine Sammlung von Tricks, mit denen mein Kind (und viele andere) mich regelmäßig erwischt:
1. Die Logik-Falle
Du verbietest etwas – und bekommst sofort ein Gegenbeispiel aus deinem eigenen Handeln:
- „Aber du hast auch gestern zwei Kekse gegessen.“
- „Du darfst doch auch abends Fernsehen.“
Pädagogisch korrekt reagieren? Schwer. Kindlich begeistert grinsen? Sofort.
2. Die Mitleid-Maschine
- „Ich dachte, du liebst mich …“
- „Niemand versteht mich hier …“
- „Dann bin ich eben allein …“
Trifft dich ins Herz, oder? Willkommen im emotionalen Schachspiel.
3. Die Erziehung-zitiert-Erziehung-Technik
- „Du hast gesagt: Man darf sagen, wenn man etwas unfair findet!“
- „Ich fühle mich gerade nicht gehört, Papa!“
Schulnote? Eins plus mit Sternchen. Emotionale Wirkung? Einschlag in der Papa-Mitte.
4. Die rhetorische Zeitverschleppung
Du willst eigentlich, dass er ins Bett geht. Er will diskutieren:
- „Aber warte, ich muss noch was Wichtiges sagen …“
- „Warum schlafen Menschen eigentlich nachts?“
Zehn Minuten später stehst du da und erklärst den Biorhythmus, während dein Kind genüsslich an der Zeit gewinnt.
Warum das alles trotzdem gut ist
So anstrengend diese Momente sind – sie sind auch wichtig. Weil sie zeigen, dass unsere Kinder reflektieren. Dass sie zuhören. Dass sie unsere Worte nicht einfach nur abnicken, sondern in Beziehung setzen.
Und, ja: Manchmal auch benutzen, um ihre Ziele zu erreichen. Aber ist das nicht genau das, was wir eigentlich wollen? Dass sie lernen, zu argumentieren? Für sich einzustehen? Zu erkennen, dass Sprache Macht hat?
Natürlich heißt das nicht, dass wir alles durchgehen lassen. Aber es heißt, dass wir anerkennen: Unsere Kinder sind nicht nur Erziehungsempfänger. Sie sind aktiv, wach, klug – und manchmal mindestens so trickreich wie wir.
Wie ich damit umgehe – meine 5 Strategien
1. Innerlich applaudieren, äußerlich klar bleiben
Wenn mein Sohn mir pädagogisch einen Knoten ins Gehirn redet, denke ich oft: „Das war stark.“ Und trotzdem bleibe ich bei meiner Haltung. Ich sage dann sowas wie: „Du hast das gut begründet – aber ich bleib bei Nein.“
2. Humor nutzen
Oft hilft ein Augenzwinkern. Ein „Du bist ein ganz schöner Schlaumeier“ – das lockert die Situation, nimmt das Spiel ernst, aber lässt trotzdem keine Tür offen.
3. Eigene Widersprüche eingestehen
Wenn mein Kind mich wirklich erwischt – zum Beispiel bei eigenen Regelbrüchen – sage ich ehrlich: „Stimmt. Da war ich nicht konsequent. Tut mir leid.“ Kinder respektieren Ehrlichkeit mehr als perfekte Erzieher.
4. Diskussionen begrenzen
Manchmal führt das alles zu endlosen Debatten. Dann sag ich klar: „Ich hab dich gehört. Jetzt ist aber Schluss mit der Diskussion.“ Und wenn das nicht reicht: „Wir reden morgen weiter.“ Funktioniert erstaunlich gut.
5. Die Meta-Ebene einführen
Manchmal sprech ich mit meinem Kind über genau dieses Verhalten:
- „Du hast gemerkt, wie du das Argument gerade eingesetzt hast?“
- „War das jetzt ein echtes Gefühl oder eher eine Taktik?“
Das hilft – nicht nur in der Situation, sondern auch langfristig. Weil es Reflexion fördert.
Und was lernen wir Papas daraus?
Dass Erziehung kein einseitiger Prozess ist. Dass wir uns nicht auf die Schultern klopfen können, wenn Kinder brav nicken – sondern wenn sie uns herausfordern. Wenn sie uns unsere eigenen Werte zurückspiegeln. Wenn sie anfangen, für ihre Sicht einzustehen.
Natürlich bringt das uns oft an unsere Grenzen. Aber ehrlich gesagt: Genau da fängt das echte Vatersein doch erst an, oder?
Wenn wir uns nicht nur als Erklärer sehen, sondern als Dialogpartner. Als diejenigen, die auch mal verlieren. Die sich auch mal überreden lassen. Oder auch mal ganz klar bleiben – und dann erklären, warum.
Fazit: Ausgetrickst, aber nicht besiegt
Ja, mein Kind trickst mich manchmal aus. Pädagogisch. Logisch. Rhetorisch. Und ich geb’s zu: Ich find’s oft großartig.
Weil es zeigt, dass er denkt. Dass er fühlt. Dass er wahrnimmt.
Ich will kein Kind, das blind folgt. Ich will ein Kind, das mitdenkt. Das hinterfragt. Das diskutiert. Auch wenn das bedeutet, dass ich manchmal eine zweite Tasse Kaffee brauche, bevor ich in den nächsten Argumentationsmarathon starte.
Und wenn du dich das nächste Mal wieder dabei erwischst, wie du gegen einen Sechsjährigen rhetorisch untergehst – nimm’s sportlich. Und nimm’s als Kompliment. Denn vielleicht erzieht ihr euch gerade gegenseitig.