Es war ein ganz normaler Dienstag. Zumindest dachte ich das. Der Wecker klingelte um 6:00 Uhr, wie immer. Ich schleppte mich aus dem Bett, tappte ins Kinderzimmer, zog meinem Sohn im Halbschlaf die Socken an, während ich gleichzeitig versuchte, meiner Tochter zu erklären, warum sie heute keinen Kakao im grünen Becher bekommen kann. Klassischer Fehlstart in den Tag. Aber hey, läuft halt so als Papa, oder?
Was ich damals noch nicht wusste: Dieser Dienstag sollte der Tag werden, an dem ich an meine Grenze kam. So richtig. Nicht das übliche „Ich bin ein bisschen müde“-Level, sondern: Alles. Ist. Zu. Viel.
Alles beginnt harmlos – und wird schleichend zu viel
Wenn du Papa wirst, ändert sich dein Leben komplett. Das weißt du vorher – theoretisch. Praktisch rechnest du trotzdem nicht damit, wie sehr sich dein Alltag, deine Gedanken, deine Energie verschieben. Es geht nicht mehr nur um dich. Es geht um Verantwortung. Um ständige Präsenz. Um funktionieren. Und am Anfang macht man das sogar gern – mit Stolz, mit Liebe, mit vollem Herzen.
Aber irgendwann wird aus dem Stolz ein Druck. Aus der Liebe ein schlechtes Gewissen. Aus der Präsenz ein Zustand, in dem du gar nicht mehr weißt, wann du zuletzt bei dir selbst warst. Genau das ist mir passiert – und ich hab’s viel zu lange nicht gemerkt.
Die Checkliste im Kopf, die nie leer wird
An dem besagten Dienstag bin ich nach dem Frühstück mit den Kids in die Kita geradelt, hab mich in die Arbeit gestürzt, zwischendurch beim Kinderarzt angerufen, die Autowerkstatt koordiniert, einen Zoom-Call überlebt, schnell was reingeschaufelt, um dann festzustellen: Mist, ich hab vergessen, das Bastelzeug für den nächsten Tag zu besorgen. Währenddessen vibrierte mein Handy ununterbrochen mit Nachrichten aus dem Familienchat.
Mein Kopf war ein einziges Durcheinander. Als würde jemand ständig neue Tabs im Gehirn öffnen. Jeder Gedanke ein Fenster, das noch offen steht, jede Aufgabe ein Pop-up mit „Dringend!“-Label. Ich funktionierte nur noch. Aber ich lebte nicht mehr wirklich.
Der Körper meldet sich – und keiner hört hin
Gegen Nachmittag saß ich im Auto – zehn Minuten Ruhe zwischen Büro und Kita. Eigentlich mein heiliger Moment. Nur diesmal war etwas anders. Mein Herz klopfte unruhig, meine Hände zitterten leicht, mir war schwindelig. Ich dachte, es liegt am Kaffee. Oder an der Luft. Oder am Stress – ja, wahrscheinlich einfach nur Stress.
Ich holte die Kinder ab, fuhr heim, kochte Abendessen, badete die beiden, las zwei Geschichten vor, sortierte noch schnell Wäsche – und dann, als ich mich abends aufs Sofa setzte, überkam mich ein Gefühl, das ich schwer beschreiben kann. Wie ein innerliches Zusammenklappen. Als hätte mein Körper still gesagt: „Jetzt reicht’s.“
Warum ich trotzdem weitergemacht habe
Weil wir das so gelernt haben. Weil Väter stark sind. Weil du doch jetzt nicht aufgeben kannst. Weil du kein Jammerlappen sein willst. Weil es doch anderen genauso geht. Weil du dich nicht so anstellen willst.
Also bin ich am nächsten Morgen wieder aufgestanden. Hab wieder funktioniert. Hab weitergemacht. Immer mit dem Gedanken: „Nächste Woche wird’s besser.“ Wurde es aber nicht.
Der Moment, der alles verändert hat
Ein paar Tage später saß ich mit meiner Frau beim Abendessen. Die Kinder schliefen endlich. Ich war gereizt, abwesend, erschöpft. Und sie sagte ganz ruhig: „Ich hab das Gefühl, du bist gar nicht mehr richtig da.“ Dieser Satz hat mich getroffen wie ein Schlag. Nicht weil er gemein war – sondern weil er stimmte.
Ich war nicht mehr da. Ich war körperlich anwesend, ja. Aber innerlich ausgebrannt. Ich hab Dinge vergessen, keine Energie mehr für Gespräche gehabt, meine Kinder immer öfter angefahren, obwohl ich das nicht wollte. Und plötzlich war mir klar: Ich bin am Limit. Vielleicht schon darüber hinaus.
Was ich seitdem anders mache
Es war nicht leicht, das anzuerkennen. Aber es war der erste Schritt zur Veränderung. Ich habe angefangen, mit anderen Vätern zu reden. Habe einen Abend die Woche nur für mich blockiert. Habe angefangen, Nein zu sagen – zu Zusatzaufgaben, zu überfüllten Wochenenden, zu Perfektionsansprüchen.
Ich habe mich getraut, Hilfe anzunehmen. Meine Frau gebeten, Dinge zu übernehmen. Mit meinem Chef gesprochen. Und vor allem: Ich habe aufgehört, mich schlecht zu fühlen, wenn ich müde bin. Wenn ich mal nichts mehr kann. Wenn ich einen Nachmittag einfach im Park sitze, ohne Handy, ohne Agenda.
Und dann kam der Rückschlag
Nur weil du einmal begriffen hast, dass du nicht mehr kannst, heißt das nicht, dass danach alles besser läuft. Es gab Rückschläge. Ich bin wieder in alte Muster gefallen. Hab wieder zu viel übernommen. Hab meine Pause mit „nur kurz noch was erledigen“ verbracht. Und war dann überrascht, warum’s mir wieder schlecht ging.
Veränderung passiert nicht auf Knopfdruck. Sie ist ein Prozess. Einer, bei dem du lernst, dich selbst neu zu betrachten. Dich ernst zu nehmen. Und dir die gleiche Fürsorge zu geben, die du deinen Kindern gibst.
Was mir wirklich geholfen hat
Ich hab angefangen, feste Zeiten für mich einzuplanen. Ich hab mir eine kleine Liste gemacht: Dinge, die mir gut tun. Dinge, die mich runterziehen. Und ich hab gelernt, dass es okay ist, auch mal „nein“ zu sagen – zu sozialen Verpflichtungen, zu Erwartungen, zu mir selbst.
Und ich hab angefangen zu schreiben. Genau das hier. Diese Gedanken. Diese Gefühle. Weil ich glaube, dass es mehr Papas gibt wie mich. Die funktionieren, obwohl sie innerlich auf dem Zahnfleisch kriechen.
Ein Appell an alle Papas
Du bist nicht allein. Auch wenn’s sich manchmal so anfühlt. Du darfst erschöpft sein. Du darfst an deine Grenze kommen. Und du darfst was verändern. Es braucht Mut, das zuzugeben. Aber es ist der erste Schritt, um wieder bei dir anzukommen.
Sprich mit deiner Partnerin. Mit deinem Kumpel. Mit deinem Chef. Oder mit jemandem, der einfach nur zuhört. Nimm dich ernst. Und glaub mir: Du wirst merken, wie gut es tut, nicht mehr der Typ zu sein, der immer alles schafft.
Fazit: Grenzen sind nicht das Ende – sondern der Anfang von etwas Gutem
Ich hab’s gelernt – auf die harte Tour. Aber heute weiß ich: Am Limit zu sein ist keine Schande. Es ist ein Weckruf. Einer, der sagt: Du bist wichtig. Nicht nur als Vater. Sondern als Mensch.
Also: Wenn du spürst, dass alles zu viel wird – dann ist jetzt der Moment, ehrlich hinzusehen. Und dir selbst zu sagen: „Ich darf das. Ich darf Pause machen. Ich darf mich um mich kümmern.“
Denn nur ein Papa, der sich selbst nicht verliert, kann auch wirklich für andere da sein. Und das ist am Ende das, was zählt.