Es gibt Dinge, die lernst du nicht in einem Ratgeber, sondern mitten im Alltag – zwischen Brotdosenpacken und Legoaufräumen, zwischen Kita-Abgabe und Wäschebergen. Eines dieser Dinge ist: Wenn du als Vater nicht auf dich achtest, bleibt nicht mehr viel von dir übrig. Und genau deshalb habe ich mir mein Fahrrad zurückerobert. Nicht als Sportgerät. Nicht als Fortbewegungsmittel. Sondern als meinen ganz persönlichen Ausgleich.
Wenn der Kopf voll ist, hilft treten
Ich hatte nie vor, ein „Rad-Papa“ zu werden. Ich war nicht der Typ, der jedes Wochenende Touren plant oder sich stundenlang mit Technik beschäftigt. Aber irgendwann – ich glaube, es war nach einem dieser besonders chaotischen Wochenenden – bin ich einfach losgefahren. Ohne Ziel. Ohne Plan. Nur ich und das alte Rad aus dem Schuppen.
Zehn Minuten später wusste ich: Das hier ist genau das, was mir gefehlt hat. Der Fahrtwind, die gleichmäßige Bewegung, das Rattern der Kette – das war wie Musik für meinen überdrehten Kopf. Ich trat schneller, ließ alles hinter mir und fuhr weiter, bis mein Atem ruhiger wurde und meine Gedanken leiser.
Seitdem ist mein Fahrrad mehr als nur ein Ding mit zwei Rädern. Es ist mein Taktgeber geworden. Mein kleiner Fluchtpunkt im großen Familienchaos. Und manchmal auch mein Therapeut auf zwei Rädern.
Mein Rhythmus – zwischen Alltag und Auszeit
Was viele nicht sehen: Papas haben selten Pausen. Wir sind da, wenn der Wecker klingelt, wir sind da, wenn ein Kind krank ist, wenn das Auto streikt, wenn der Kühlschrank leer ist. Und manchmal verlieren wir dabei unseren eigenen Takt. Wir funktionieren im Rhythmus der anderen – der Familie, der Arbeit, der Verpflichtungen.
Mein Fahrrad hilft mir, wieder meinen Rhythmus zu finden. Jeder Tritt ist ein Schritt zu mir zurück. Ich fahre keine Rennen. Ich muss nichts messen, nichts beweisen. Ich fahre, wie es mir gut tut. Mal schnell, mal langsam. Mal mit Musik in den Ohren, mal mit dem Wind als einzigem Soundtrack.
Und in diesem gleichmäßigen Treten finde ich eine Form von Ruhe, die ich nirgendwo sonst spüre. Mein Körper arbeitet, mein Kopf sortiert sich. Es ist, als würde ich den inneren Stress über den Lenker abgeben. Und am Ende der Fahrt bin ich oft jemand, der wieder lächeln kann.
Papa allein unterwegs – mit gutem Grund
Manche fragen: „Warum brauchst du das alleine?“ Weil ich sonst nie allein bin. Weil ich den ganzen Tag in Beziehung bin – zu meinen Kindern, meiner Partnerin, meinen Kolleg:innen. Weil ich ständig gefragt werde, ob ich helfen, entscheiden, erledigen kann.
Aber wenn ich auf dem Rad sitze, fragt mich niemand. Da ist niemand, der was will. Da bin nur ich. Und das ist kein Egoismus – das ist Selbstschutz. Wer immer nur gibt, ohne zu tanken, fährt irgendwann leer. Und genau das will ich nicht. Für mich nicht. Und für meine Familie auch nicht.
Also fahre ich los. Manchmal früh morgens, bevor alle wach sind. Manchmal abends, wenn alle satt und müde auf dem Sofa liegen. Manchmal auch mittags, wenn ich mir bewusst eine halbe Stunde freischaufle. Weil ich weiß: Diese Zeit macht mich zu einem besseren Papa.
Begegnungen auf dem Sattel
Es sind nicht nur die Gedanken, die mir auf dem Fahrrad begegnen. Es sind auch Menschen. Der Rentner, der mir zunickt. Die Joggerin mit dem roten Stirnband. Die Kinder, die mit ihren Rädern um die Wette fahren. Die Familie mit dem Anhänger, bei der ich sofort denke: „Oh ja, so waren wir auch mal.“
Und jedes dieser kurzen Aufeinandertreffen erinnert mich daran, dass ich nicht allein bin. Dass es viele gibt, die unterwegs sind. Mit ihren Sorgen, Freuden, Geschichten. Mein Fahrrad verbindet mich – mit der Welt, mit dem Moment, mit mir.
Technik ist Nebensache – Gefühl ist alles
Ich habe kein High-End-Rad. Mein Sattel ist durchgesessen, die Gangschaltung knarzt manchmal, und die Farbe blättert an einigen Stellen. Aber das ist mir egal. Weil mein Fahrrad keine Showbühne ist, sondern ein Werkzeug. Ein Mittel zum Zweck – oder besser gesagt: zur Seele.
Ich brauche keine App, die mir sagt, wie viele Kalorien ich verbrenne. Ich brauche keine Strecke, die besonders effizient ist. Ich brauche nur Luft, Bewegung und das Gefühl: Ich bewege mich – nicht nur körperlich, sondern innerlich.
Und ja, manchmal bringe ich das Rad zum Service, gönne ihm neue Reifen oder ein geöltes Tretlager. Weil es das verdient hat. Weil es mich trägt – durch Tage, durch Zweifel, durch den ganz normalen Wahnsinn.
Wenn ich zurückkomme, bin ich anders
Nicht komplett verändert. Nicht erleuchtet. Aber sortierter. Ruhiger. Mehr bei mir.
Ich merke es daran, wie ich mit meinem Kind spreche. Weniger hektisch. Mit mehr Geduld. Ich merke es daran, wie ich auf meine Partnerin reagiere. Mit offenem Ohr statt gereiztem Tonfall. Und ich merke es daran, wie ich den Alltag sehe: nicht mehr als reinen Überlebensmodus, sondern als etwas, das auch Raum für mich lässt.
Das Radfahren verändert mich nicht, weil es mich irgendwohin bringt. Sondern weil es mich wieder zurück zu mir bringt.
Kleine Routen, große Wirkung
Ich fahre nicht weit. Meine Hausrunde ist gerade mal zehn Kilometer. Aber das reicht. Ich kenne jede Kurve, jede Bank, jeden Baum. Und genau darin liegt der Zauber. In der Vertrautheit. In der Möglichkeit, auch mal spontan anders abzubiegen. In der Freiheit, nicht funktionieren zu müssen.
Manchmal fahre ich die Strecke rückwärts. Manchmal bleibe ich an der Brücke stehen und schaue aufs Wasser. Manchmal setze ich mich auf eine Bank, trinke einen Schluck aus meiner Flasche und denke: „Das hier ist genau richtig.“
Wenn Kinder fragen: „Papa, darf ich mitfahren?“
Natürlich. Und oft tun sie es auch. Dann wird aus meiner Auszeit ein gemeinsamer Moment. Ein Vater-Kind-Erlebnis, bei dem der Weg das Ziel ist. Wir fahren nebeneinander, reden über die Schule, über Tiere, über Lieblingsfarben. Oder wir fahren hintereinander – jeder in seinem Takt.
Diese Fahrten sind anders. Nicht so ruhig, nicht so gedankenleer. Aber dafür voller Nähe. Ich lerne dabei so viel über mein Kind – wie es die Welt sieht, was es bewegt. Und ich zeige: Auch Papa braucht Bewegung. Auch Papa braucht Luft. Auch Papa darf einfach mal fahren.
Warum jeder Papa sein Rad braucht
Ich wünsche jedem Vater so ein Fahrrad. Nicht, weil er sportlich sein soll. Sondern weil er einen Weg braucht. Einen, der ihn rausbringt. Der ihn runterbringt. Der ihn wieder auflädt.
Es geht nicht um Leistung. Es geht um Gleichgewicht. Um den Moment, wenn sich Beine und Kopf im selben Takt bewegen. Um das Gefühl, nicht davon-, sondern zu sich selbst hinzufahren.
Und dabei ist egal, ob es ein altes Hollandrad, ein klappriges Citybike oder ein Mountainbike aus dem Discounter ist. Hauptsache, es trägt dich. Hauptsache, es bringt dich wieder näher zu dem Menschen, der du sein willst.
Fazit: Mein Fahrrad, mein Rhythmus, mein Ausgleich
Ich bin Papa. Und ich bin müde. Oft. Genervt. Überfordert. Aber ich bin auch jemand, der gelernt hat, auf sich zu hören. Und mein Fahrrad hilft mir dabei.
Es ist mein Ausgleich. Mein Rhythmus. Mein kleiner Weg durch den großen Alltag. Es bringt mich raus, wenn ich durchdrehe. Es bringt mich weiter, wenn ich stehenbleiben will. Und es bringt mich näher zu mir, wenn ich mich zwischen all den Rollen verliere.
Also fahre ich. Immer wieder. Weil jeder Tritt zählt. Weil jeder Meter heilt. Weil mein Fahrrad mich nicht fragt – sondern einfach mitfährt.