Es gibt Dinge, die schiebt man als Papa gern mal auf die lange Bank: Socken sortieren, die Steuererklärung – und das Kinderzimmer kontrollieren. Letzteres ist besonders heikel. Denn wer das Kinderzimmer betritt, durchquert kein einfaches Zimmer. Nein. Man überschreitet die Schwelle in eine eigene Welt. Ein Paralleluniversum aus Glitzerstaub, kaputten Kartons, Wäschebergen und erstaunlich vielen Dingen, die pieksen.
Ich hatte mich lange gedrückt. Aber irgendwann kam der Tag, an dem ich als Vater meine Verantwortung nicht mehr ignorieren konnte. Der Kinderzimmer-TÜV stand an. Mit Checkliste, Stirnlampe und der Hoffnung, lebend wieder rauszukommen.
Der erste Eindruck – Zwischen Lego-Apokalypse und Kuscheltier-Invasion
Ich öffnete die Tür. Langsam. Vorsichtig. Der erste Schritt war ein Test: Wie viele Geräusche macht mein Fuß auf diesem Boden? Antwort: alle. Weil man sofort auf eine Kombination aus Playmobil-Schwert, Glitzerschleim und Holzperle trat.
Ich blickte mich um: Der Teppich war kaum noch als solcher zu erkennen. Es gab Klamottenberge, die an das Himalaya-Massiv erinnerten, und auf dem Schreibtisch hatte jemand – offenbar mein Kind – einen Turm aus Büchern, Trinkflaschen und ausgeleerten Stiftemäppchen gebaut. Kunst oder Chaos? Gute Frage.
Das Fenster? Halb offen. Der Vorhang: zu einem Nest zusammengeknotet. Wahrscheinlich ein Drachenversteck.
Ich holte tief Luft und betrat die Arena.
TÜV-Punkt 1: Die Fußbodenfreiheit (aka Stolperrisiko hoch 10)
Erste Regel beim Kinderzimmer-TÜV: Der Boden muss sichtbar sein. Und begehbar. Zumindest theoretisch. Also begann ich, die größte Gefahr zu beseitigen – lose Legosteine. Die kleinen Dinger sind nicht nur ein Schmerzfaktor, sie sind ein Statement. Sie sagen: „Du bist hier nicht der Chef.“
Ich sammelte Lego, Murmeln, Bauklötze, Barbie-Schuhe und einzelne Schleichtiere ein – eine zoologische Rundreise durch die Wildnis der Spielwelt. Dabei entdeckte ich auch einen halben Apfel (ehrlich), zwei leere Chipstüten und etwas, das aussah wie ein ehemaliges Gummibärchen, aber inzwischen eher an moderne Kunst erinnerte.
TÜV-Punkt 2: Die Möbelprüfung (Hält das noch – oder lebt es schon?)
Der Schreibtisch war, wie gesagt, kreativ genutzt. Ich befreite ihn von einem alten Klebestift (offen, versteht sich), einem Zettel mit der Aufschrift „Papa hat doof gesagt“ (nicht meine Glanzstunde), und etwa 47 losen Zetteln mit halben Matheaufgaben.
Die Schubladen enthielten alles – nur keine Ordnung. Sticker, Sammelkarten, Zahnarzt-Tüten, ein alter Tamagotchi (aus den 90ern?), und eine Socke mit Augen drauf.
Das Bett: okay stabil, aber darunter ein geheimer Lagerbereich, den ich nur mit Taschenlampe erkunden konnte. Fundstücke: ein Buch über Dinosaurier, eine vergessene Brotdose (ja, mit Inhalt), drei Haarspangen, ein zerfledderter Comic und eine Spieluhr, die beim Anheben von selbst losspielte – gruselig.
TÜV-Punkt 3: Die Wände (und was da alles dran klebt)
Kinderzimmerwände erzählen Geschichten. Diese hier war ein Roman. An der einen Wand klebten Poster von Superhelden, Einhörnern und einer Band, deren Namen ich nur googeln konnte, weil ich dachte, es sei ein Schreibfehler.
Dazwischen: selbst gemalte Bilder, ein Aufkleber mit „Ich darf das!“, ein Stundenplan (von letztem Schuljahr), ein Zettel mit Taschengeldforderungen und ein Erinnerungsfoto vom letzten Zeltlager.
Ich prüfte, ob Nägel locker waren (ja), ob Klebebandreste noch aktiv kleben (nein), und ob die Tapete an einer Stelle nur lose hing – Antwort: Sie hing nicht, sie wohnte da.
TÜV-Punkt 4: Das Regal – der wahre Endgegner
Ein Regal ist eigentlich dazu da, Ordnung zu schaffen. Im Kinderzimmer ist es eher eine lebende Collage. Bücher standen dort nicht nebeneinander, sondern ineinander. Brettspiele waren wild übereinander gestapelt, einige mit Tesafilm „repariert“. Und irgendwo dazwischen stand ein Glas – Inhalt undefinierbar – mit dem Hinweis „Nicht öffnen! Geheim!“
Natürlich habe ich es nicht geöffnet. Ich bin ja nicht lebensmüde.
Dafür habe ich aber entdeckt, dass offenbar alle Sticker der Welt in diesem Regal gelandet sind. Auf Büchern, Spielen, Boxen, auf dem Regal selbst. Besonders beliebt: Glitzer-Einhörner und Warnhinweise.
TÜV-Punkt 5: Elektronik (Licht an, Hirn aus?)
Moderne Kinderzimmer haben Technik. Bei uns sind das: ein Nachtlicht mit Farbwechsel (blinkend), eine Bluetooth-Box, ein altes Tablet, eine Taschenlampe in Einhornform und ein batteriebetriebener Hamster, der Sätze nachplappert.
Ich überprüfte: Sind Kabel entwirrt? (Nein.) Läuft irgendwo noch Musik? (Ja, leise „Baby Shark“ aus der Ecke.) Gibt es Akkus, die so heiß sind, dass man sie grillen könnte? (Zum Glück nicht.)
Fun Fact: Das Nachtlicht hatte offenbar seinen eigenen Willen. Es ging aus, wenn man es antippte – und wieder an, wenn man es in Ruhe ließ. Paranormal oder nur schwacher Kontakt? Man weiß es nicht.
TÜV-Punkt 6: Die Luftqualität (Geruchsbelastung bei Stufe „Wildcamping“)
Ich beugte mich vorsichtig ins Zimmer hinein und sog Luft ein. Ergebnis: eine Mischung aus Schlafsack, Gummibärchen, Kinderparfum, altem Turnbeutel und – ja – Fuß.
Das Fenster hatte lange nicht richtig gelüftet, weil davor ein Zelt aufgebaut war. Richtig, ein Zelt. Mit Kuscheldecke, Taschenlampe und Vorratsdose. Ich lüftete also erstmal, schob das Zelt zur Seite und ließ frischen Sauerstoff rein. Mein Kreislauf bedankte sich mit einem erleichterten „Puh!“
TÜV-Punkt 7: Die Überraschungen (ungeplant, unentdeckt, unerwartet)
Es gibt immer Dinge, mit denen rechnet man nicht. Ich fand:
- Einen Liebesbrief an eine Klassenkameradin (Name geschwärzt, Inhalt: süß)
- Ein Glas mit gesammelten Glasmurmeln (versteckt im Kissenbezug)
- Einen angebissenen Keks hinter dem Vorhang
- Eine Socke mit einem Zettel dran: „Vermisst du mich?“
Das Kinderzimmer ist nicht nur ein Ort zum Schlafen und Spielen. Es ist auch Rückzugsort, Abenteuerland, Geheimversteck. Und genau das machte diesen Kontrollgang nicht nur nötig – sondern irgendwie auch rührend.
Fazit: Der Kinderzimmer-TÜV ist keine Kontrolle – es ist ein Perspektivwechsel
Ich ging als Kontrolleur hinein – und kam als emotional aufgewühlter Papa wieder raus. Ja, es war unordentlich. Ja, es war chaotisch. Aber es war auch voller Leben, Fantasie, Kreativität.
Ich habe nicht alles perfekt aufgeräumt. Ich habe auch keine Liste geschrieben, was besser werden muss. Stattdessen habe ich vieles einfach stehen lassen. Weil es dazugehört. Weil es ihre Welt ist. Und weil ich froh bin, dass mein Kind sich dort sicher, wild und frei fühlen darf.
Aber: Der Legosteine-Eimer ist jetzt sicher verschlossen. Man lernt ja mit.