Es gibt diese Lebensweisheiten, die sich irgendwie vernünftig anhören: „Trenne Berufliches und Privates klar voneinander.“ Klingt nach Balance. Nach Struktur. Nach einem Plan, der uns davor schützen soll, in beiden Bereichen unterzugehen. Und ganz ehrlich: Genau das wollte ich. Ich wollte klare Linien. Schwarz und Weiß. Vormittags Arbeit, nachmittags Papa-Zeit. Ordnung im Kopf und im Herzen. Spoiler: Hat nicht funktioniert. Nicht mal annähernd. Und hier kommt meine Geschichte.
Die große Idee vom Feierabend
Ich war motiviert. Entschlossen. Ich dachte mir: Wenn andere das schaffen, schaffe ich das auch. Also habe ich mein kleines Homeoffice eingerichtet. Einen Schreibtisch, ein ergonomischer Stuhl, Tageslichtlampe – das volle Programm. Ich setzte mir feste Arbeitszeiten, erklärte meiner Familie, dass ich „im Büro“ bin, auch wenn das Büro nur der Raum neben dem Kinderzimmer war. Ich hatte sogar ein Schild an der Tür: „Papa arbeitet – bitte nicht stören“.
Klingt gut, oder? Hat nur leider kaum funktioniert. Das Schild wurde zur Malfläche umfunktioniert, meine Tochter malte ein Einhorn drauf. Mein Sohn hat’s irgendwann einfach abgerissen. Und die Zeiten? Die waren so flexibel wie Knetmasse. Jeder Versuch, einen strukturierten Tagesablauf zu leben, wurde regelmäßig durch Fieber, volle Windeln oder spontane Kuschelanfälle sabotiert.
Wenn das echte Leben keinen Termin braucht
Da war dieser eine Tag – ich hatte eine wichtige Präsentation. Der Kunde war kritisch, das Thema komplex. Ich war nervös, wollte unbedingt einen guten Eindruck machen. Und genau in dem Moment, als ich loslegen wollte, stand mein Kind weinend in der Tür. Lieblingskuscheltier verschwunden. Herz gebrochen. Und mein Plan? Zerbröselte in der Luft wie ein überbackenes Knäckebrot.
Ich saß also da, zwischen Business-Slides und Tränchen, zwischen Pflichtbewusstsein und Herz. Und wusste genau: Die PowerPoint kann warten. Das hier ist wichtiger. Und so lief es immer wieder. Die klare Trennung war eine Illusion. Die Realität kommt eben nicht auf leisen Sohlen. Sie platzt mittenrein – mit Schoko-Mund, aufgeschürftem Knie oder der Frage, ob ich lieber ein Drache oder ein Pony sein will.
Ich in zwei Rollen – und in keiner richtig angekommen
Ich wollte morgens fokussierter Projektmanager sein und nachmittags entspannter Papa auf dem Spielplatz. Stattdessen war ich oft ein müder Kompromiss aus beidem. In Calls hörte ich mit einem halben Ohr zu, während ich mit dem anderen versuchte, den Streit um das letzte Gummibärchen zu schlichten. Ich war nie ganz da – weder hier noch dort.
Und das war zermürbend. Es machte mich gereizt, ließ mich an mir zweifeln. Ich fing an, Termine heimlich aufs Klo zu verlegen – da war’s wenigstens halbwegs ruhig. Ich setzte mich abends nochmal an den Laptop, wenn alle schliefen – und schlief dabei selbst über der Tastatur ein. Ich versuchte, allem gerecht zu werden. Und wurde niemandem wirklich gerecht. Am wenigsten mir selbst.
Der emotionale Preis eines scheinbar guten Plans
Ich dachte, diese Trennung wäre ein Befreiungsschlag. Aber sie war ein Spagat, der mich irgendwann einfach zerriss. Wenn ich arbeitete, plagte mich das schlechte Gewissen: „Jetzt wäre eigentlich Papa-Zeit.“ Wenn ich spielte, dachte ich an Mails und Deadlines. Ich war in ständiger Alarmbereitschaft – ein innerer Notfallmodus.
Und dann kam der Moment, der alles veränderte. Mein Kind spielte mit Bauklötzen. Es baute ein kleines „Papa-Büro“. Mit Tisch, Computer, Handy. Und sagte: „Hier arbeitet Papa. Da ist das Handy. Und da ist das Kuscheltier, das weint, weil Papa keine Zeit hat.“
Bumm. Das hat gesessen. Ich stand daneben und mir wurde klar: Ich hatte mein Ziel komplett verfehlt. Mein Kind verstand die Trennung nicht. Es sah nur: Papa ist oft abwesend. Nicht körperlich, aber emotional. Und das tat weh – uns beiden.
Warum ich heute keine Linie mehr ziehe
Ich musste umdenken. Radikal. Ich merkte: Familie und Arbeit sind keine Gegensätze. Sie sind beide Teil meines Lebens. Und statt sie wie zwei Feinde voneinander fernzuhalten, musste ich lernen, sie zu integrieren – und ehrlich damit umzugehen.
Ich begann, transparent zu sein. Ich erklärte meinem Kind, was ich tue. Dass ich manchmal Dinge erledigen muss, die wichtig sind – aber dass es genauso wichtig ist. Ich führte Rituale ein. Frühstück ohne Handy. Gemeinsame Pausen, in denen ich wirklich da bin. Feste Zeiten für Geschichten, für Fragen, für Nähe. Kein „Jetzt nicht“, sondern „gleich wirklich“ – und das dann auch einhalten.
Ich holte mir Unterstützung. Sprach mit meiner Partnerin, mit Kollegen, mit anderen Vätern. Und weißt du was? Die meisten nickten verständnisvoll. Denn wir alle jonglieren. Und wir alle kennen dieses Gefühl, nicht zu genügen. Aber wir reden zu wenig drüber.
Ich ließ mich öfter mal unterbrechen – und nahm es nicht mehr als Angriff, sondern als Chance. Die fünf Minuten mit dem Kind sind oft wichtiger als die perfekte Exceltabelle. Und ja, manchmal ist der Preis dafür eine halbe Stunde Nachtschicht. Aber manchmal ist es auch einfach ein tiefes, echtes Lachen mitten am Tag. Und das wiegt mehr als jede Deadline.
Was ich aus dem Scheitern gelernt habe
Ich habe verstanden: Trennen ist nicht das Ziel. Verbinden ist der Weg. Arbeit und Familie sind keine Kisten, die man sauber stapelt. Sie sind wie Wasserfarben, die ineinanderfließen. Und das Bild, das daraus entsteht, ist vielleicht nicht perfekt – aber es ist echt.
Ich bin nicht mehr der, der krampfhaft versucht, alles zu kontrollieren. Ich bin der, der atmet, wenn’s mal wieder zu viel wird. Der auch mal „Nein“ sagt – zu Meetings, zu Erwartungen, zu sich selbst. Und der „Ja“ sagt – zu Lego-Zeit, zu Tränen-Trösten, zu „Papa, guck mal!“
Mein Kind braucht keinen Superhelden. Es braucht einen Papa, der zuhört. Der präsent ist, auch wenn er müde ist. Der ehrlich sagt: „Ich hab gerade viel zu tun – aber du bist mir wichtig.“
Und ich? Ich brauche keine perfekte Trennung. Ich brauche echte Verbindung. Zu meinem Kind. Zu meiner Arbeit. Und vor allem: zu mir selbst.
Fazit: Mein Scheitern war mein Anfang
Heute sehe ich mein damaliges Scheitern nicht mehr als Niederlage, sondern als Startpunkt. Ich bin gescheitert an einer Idee, die nicht zu mir passt. Und hab daraus etwas gebaut, das viel besser funktioniert: ein Leben, das beides vereint – Arbeit und Papa-Sein. Mal holprig, mal fließend. Aber immer mit Herz.
Und weißt du was? Es fühlt sich gut an. Nicht perfekt. Aber lebendig. Und echt.