Ich hatte es mir anders vorgestellt. Als ich Vater wurde, hatte ich diesen Plan: Ich will ruhig bleiben. Einfühlsam. Klar in meinen Worten, fair in meinen Reaktionen. Kein Brüllpapa. Kein Autoritätsgewitter. Sondern ein Papa, bei dem sich das Kind auch in der Wut sicher fühlen kann.
Aber dann kam der echte Alltag. Und irgendwann kam auch dieser Moment: Ich stand in der Küche, mein Kind tobte, schrie, trat gegen die Schranktür – und ich verlor die Kontrolle. Ich brüllte. Laut. Klar. Genervt. Nicht pädagogisch, nicht durchdacht, nicht geplant. Einfach nur wütend.
Und danach? Kam die Scham. Das schlechte Gewissen. Die leise Stimme im Kopf, die sagte: „Das wolltest du doch nie.“
In diesem Text geht’s genau darum. Um diesen Spagat zwischen Anspruch und Realität. Um gute Vorsätze und schwache Nerven. Um Elternsein mit Herz – und Fehlern. Und darum, warum das trotzdem okay ist.
Das Idealbild in meinem Kopf
Bevor ich Vater wurde, hatte ich so eine Art „pädagogische Wunschversion“ von mir vor Augen: Der verständnisvolle Zuhörer, der sich bei Wutanfällen auf Augenhöhe begibt. Der tief durchatmet, wenn die Lego-Box zum dritten Mal durch die Gegend fliegt. Der erklärt, statt zu schimpfen. Der liebevoll Grenzen setzt, ohne je laut zu werden.
Ich hatte Bücher gelesen. Blogs verschlungen. Podcasts gehört. Und dabei gedacht: Das mach ich besser. Ich werde vorbereitet sein. Stark. Gelassen. Der Fels in der Brandung.
Und dann kam das echte Leben mit Kind. Mit zu wenig Schlaf, zu viel Lärm, zu vielen To-dos. Und mit einem kleinen Menschen, der sehr genau weiß, welche Knöpfe er bei mir drücken kann.
Der Tag, an dem es passierte
Es war einer dieser Tage, an dem einfach alles zusammenkam. Ich hatte schlecht geschlafen, war schon mit Migräne aufgewacht, der Morgen war hektisch, alles lief schief. Dann das: Mein Kind – damals dreieinhalb – wollte partout keine Hose anziehen. Wir mussten los, ich hatte einen Termin, er schrie, ich versuchte, ruhig zu bleiben.
„Komm, wir machen das zusammen.“
„NEIN!“
„Ich weiß, dass du die andere Hose lieber magst, aber die ist nass.“
„ICH WILL DIE NASSSEEEE!“
Es eskalierte. Tränen. Gebrüll. Und dann, nach fünfzehn Minuten Diskussion, fiel er mir mit voller Wucht in den Bauch und brüllte: „DU BIST DOOF!“
Und ich? Ich brüllte zurück. Laut. Heftig. Ein Satz, den ich gar nicht wiederholen will. Kein Schimpfwort – aber auch kein Vorzeige-Papa-Satz. Es war einfach nur Wut. Und ein Gefühl von Kontrollverlust.
Die Minuten danach
Stille. Er schaute mich erschrocken an. Ich schaute ihn erschrocken an. Und dann war da dieses große, schwere Schweigen zwischen uns. Ich wollte es sofort zurücknehmen. Ihn trösten. Aber ich war so voller Scham, dass ich erst mal nur dasaß und in mich zusammensackte.
Und da wurde mir klar: Ich war an meine Grenze gekommen. Nicht als Vater – sondern als Mensch.
Warum wir manchmal laut werden
Wut ist menschlich. Sie ist ein Gefühl wie jedes andere. Sie zeigt: Da ist etwas zu viel. Zu laut, zu wild, zu überfordernd. Und gerade als Eltern stehen wir oft unter Druck. Dauerstress, kaum Pausen, ständig Entscheidungen, Verantwortung, Sorgen.
Wir erwarten von uns selbst, immer die Kontrolle zu behalten. Immer reflektiert zu sein. Aber niemand kann das immer. Kein Vater. Keine Mutter. Kein Mensch.
Und manchmal, da macht es einfach „klack“ – und du wirst laut. Nicht, weil du dein Kind ablehnst. Sondern weil du selbst überlastet bist.
Der Unterschied zwischen verletzen und Menschsein
Ich habe danach lange überlegt: Was passiert mit meinem Kind, wenn ich laut werde? Mache ich etwas kaputt? Verliert es das Vertrauen in mich?
Die Antwort, die ich für mich gefunden habe, ist: Es kommt darauf an, was danach passiert.
Ich bin kein Fan von Gewalt in der Erziehung – weder körperlich noch verbal. Aber ich glaube auch: Kinder können verstehen, dass Erwachsene Fehler machen. Dass man sich entschuldigen kann. Dass es okay ist, nicht perfekt zu sein.
Ich bin zu meinem Sohn gegangen, habe ihn in den Arm genommen und gesagt: „Es tut mir leid. Ich hätte nicht so laut werden dürfen. Ich war sehr müde und überfordert. Aber du bist nicht schuld.“
Er hat genickt. Wir haben uns gedrückt. Und später hat er gesagt: „Papa, du warst sehr laut. Aber jetzt bist du wieder lieb.“
Was ich daraus gelernt habe
- Ich bin ein Mensch. Und Menschen machen Fehler. Auch Väter.
- Wut ist ein Warnsignal. Wenn ich merke, dass ich schnell genervt bin, ist das kein Erziehungsproblem – sondern ein Zeichen, dass ich mich um mich selbst kümmern muss.
- Ehrlichkeit heilt. Ich muss meinem Kind nichts vorspielen. Wenn ich mich entschuldige, wenn ich erkläre, was in mir los war – dann stärke ich unser Band.
- Pädagogik ist kein Wettbewerb. Es geht nicht darum, der coolste Vater zu sein. Sondern ein echter.
Was ich heute anders mache
Ich habe ein paar Strategien entwickelt, die mir helfen, nicht so schnell zu explodieren:
- Ich verlasse den Raum. Wenn ich merke, dass es brenzlig wird, sag ich kurz: „Ich brauch gerade eine Pause.“ Und gehe zwei Minuten ins Bad. Atmen, Wasser ins Gesicht, runterkommen.
- Ich spreche mit anderen Vätern. Austausch hilft. Zu merken: Ich bin nicht der Einzige, dem das passiert. Das entlastet.
- Ich sorge besser für mich. Klingt banal, ist aber entscheidend. Schlaf, Essen, kurze Auszeiten – all das macht einen Unterschied.
- Ich bin nachsichtiger mit mir. Ich mache nicht alles perfekt. Aber ich wachse. Und das zählt.
Und wenn’s wieder passiert?
Dann weiß ich: Ich hab daraus gelernt. Ich bin nicht stolz drauf, aber ich verurteile mich auch nicht mehr. Ich bin in Beziehung mit meinem Kind. Ich begleite es durchs Leben. Und ich zeige ihm, dass auch Erwachsene sich entwickeln dürfen.
Pädagogik heißt nicht Perfektion. Pädagogik heißt: Ich bleib in Kontakt. Auch nach Fehlern. Gerade dann.
Fazit: Laut werden ist nicht das Ende – es ist ein Teil des Wegs
Wir alle wollen gute Väter sein. Liebevoll. Geduldig. Reflexiv. Aber manchmal sind wir einfach nur müde, überfordert, genervt. Und dann bricht etwas aus uns heraus, das wir lieber zurückgehalten hätten.
Das macht uns nicht zu schlechten Vätern. Es macht uns menschlich.
Wichtig ist, was wir danach tun. Ob wir es ansprechen. Ob wir uns entschuldigen. Ob wir unsere Kinder in den Arm nehmen und sagen: „Ich war nicht gut in dem Moment – aber ich bin für dich da.“
Und wenn wir das tun – dann wachsen wir gemeinsam.