Es sollte ein entspannter Nachmittag werden. Ein bisschen toben, lachen, vielleicht ein Kaffee am Rand der Spielfläche, während mein Kind zwischen Plastikbällen versinkt. So der Plan. Die Realität? Ein pädagogischer Ausnahmezustand in Primärfarben. Mitten im Bällebad. Mit meinem Kind. Und meinem Temperament.
Ich erzähl dir die ganze Geschichte – nicht, weil ich stolz drauf bin, sondern weil ich glaube: Genau da, in diesen chaotischen, lauten, unkontrollierten Momenten stecken oft die ehrlichsten Lektionen des Vaterseins. Und das, was ich in diesem Bällebad gelernt habe, war mehr wert als jeder Ratgeber. Mehr wert als jedes Buch. Und definitiv realer als jeder theoretisch gedachte Erziehungstipp auf Hochglanzpapier.
Es begann ganz harmlos…
Samstag, Indoor-Spielplatz. Du kennst das: Es riecht nach Desinfektionsmittel und Pommes, es ist laut wie im Affenzirkus, und trotzdem denkt man sich: „Ist ja für die Kinder.“
Wir also rein. Schuhe aus. Jacke aus. Kind in Richtung Bällebad – und weg war er. Versunken in einem Meer aus Kunststoffkugeln. Ich setzte mich an den Rand, atmete durch. Fast ein bisschen stolz: Er war angekommen, mittendrin, strahlte. Ich scrollte auf dem Handy, trank einen ersten Kaffee – und dachte: Läuft.
Fünf Minuten später: Drama.
Ich hör nur ein lautes „NEEEIIIIN!“ – und sehe, wie mein Sohn einem anderen Kind energisch die gelbe Schaufel entreißt. Das andere Kind weint. Mein Sohn schreit. Ich dazwischen. Alle Eltern gucken. Eine Mutter verdrehte auffällig die Augen, während ein Vater in meinem Rücken laut und sehr übertrieben „Ohje, schon wieder einer“ murmelte.
Der klassische Papa-Moment: „Jetzt cool bleiben.“
In meinem Kopf schrillten die Alarmglocken. Mein erster Impuls: Erziehen! Sofort! Einwirken! Pädagogisch handeln! Klare Ansage! Grenzen setzen!
Ich ging also hin, mit dem besten Vaterblick, den ich draufhabe, und sagte: „Stopp. Das geht so nicht. Du kannst das Spielzeug nicht einfach wegnehmen.“
Mein Sohn, schon völlig außer sich, brüllte zurück: „Doch! Das war meins!“ Und dann: Ballwurf. Mitten in mein Gesicht. Schmerzmittel: null. Geduld: auch null.
Und ich? Ich wurde laut. Nicht brüllend – aber laut genug, dass alle es mitbekamen. Ich packte ihn aus dem Bällebad, trug ihn unter Protest aus dem Spielbereich. Er trat, weinte, schrie. Und ich war genervt, wütend, enttäuscht – von mir, von ihm, von der ganzen Situation.
Der Moment danach: Keine Gewinner – nur müde Herzen
Im Flur des Spielplatzes setzte ich mich mit ihm auf eine dieser viel zu niedrigen Holzbänke. Ich atmete schwer. Mein Herz schlug. Seine kleinen Finger hielten meine Jacke fest. Er schniefte. Und ich war einfach nur leer.
Ich dachte: „So hab ich mir das Vatersein nicht vorgestellt.“ Aber genau da begann es: das wirkliche Vatersein. Nämlich nicht in den Momenten, in denen alles läuft – sondern in denen, wo alles aus dem Ruder läuft.
Und was lernt man daraus?
Tja, erstmal: Dass perfekte Erziehung in der Theorie einfacher ist. In der Praxis ist das eine Mischung aus Stressbewältigung, Deeskalation und innerem Balanceakt.
Aber dieser Tag hat mir tatsächlich ein paar Dinge beigebracht – über mein Kind. Über mich. Über Wut. Über Stolz. Und über Nähe inmitten von Chaos.
1. Kinderwut ist nicht gegen dich gerichtet
Wenn mein Kind im Bällebad ausflippt, dann nicht, weil er mich demütigen will. Oder mich testen. Sondern weil er gerade überfordert ist. Vielleicht ist es zu laut. Vielleicht fühlt er sich ungerecht behandelt. Vielleicht will er einfach nur die verdammte Schaufel.
Ich hab gelernt, dass ich seine Wut nicht persönlich nehmen darf. Auch wenn sie sich persönlich anfühlt. Ich bin sein sicherer Hafen – und manchmal heißt das eben auch, seine Wellen auszuhalten. Selbst wenn sie dich umreißen.
2. Ich bin nicht immer Herr meiner Nerven – und das ist okay
Ich wollte in dem Moment ruhig bleiben. Vorbild sein. Stattdessen wurde ich laut. Ich hab’s nicht geschafft. Und das tat weh – weil ich anders sein wollte.
Aber ich hab gelernt: Ich bin ein Mensch. Und mein Kind darf auch sehen, dass ich Fehler mache. Wichtig ist, was danach kommt. Nicht die Lautstärke zählt – sondern das, was folgt.
3. Nach dem Sturm kommt der Moment der Verbindung
Wir saßen später zusammen in der Umkleide. Beide erschöpft. Ich sagte: „Es tut mir leid, dass ich so laut geworden bin. Ich war wütend, aber ich hätte das anders sagen sollen.“
Er schaute mich an, schniefte, sagte: „Ich war auch wütend. Weil er meine Schaufel hatte.“
Wir sprachen. Wir umarmten uns. Und plötzlich war aus dem lautesten Moment des Tages der ehrlichste geworden. Ich sah ihn an – dieses kleine, wütende, verletzliche Wesen – und wusste: Das ist echte Verbindung. Nicht trotz der Eskalation. Sondern wegen ihr.
4. Erziehung passiert nicht im Bällebad – sondern danach
Die meisten Lerneffekte kommen nicht im Moment selbst. Sondern im Rückblick. Wenn wir drüber sprechen. Wenn wir gemeinsam verstehen, was passiert ist. Wenn wir Gefühle benennen und Worte für das finden, was eigentlich los war.
Ich glaube nicht, dass mein Sohn an diesem Tag gelernt hat, dass man keine Schaufeln klauen soll. Aber er hat vielleicht gelernt, dass Papa auch mal wütend wird – und dass wir darüber reden können. Dass Beziehung nicht zerbricht, nur weil es laut wurde. Dass wir uns wiederfinden.
5. Bällebäder sind keine Orte für Glanzmomente – sondern für Wachstum
Ja, der Tag war anstrengend. Ja, ich war enttäuscht. Aber im Rückblick bin ich auch dankbar. Weil genau diese Momente mich wachsen lassen. Weil sie ehrlich sind. Roh. Und weil sie mir zeigen: Vatersein heißt nicht, immer alles richtig zu machen – sondern sich selbst in Frage zu stellen, zu reflektieren und neu anzusetzen. Wachstum ist nicht leise. Es ist chaotisch. Bunt. Und manchmal voller Bälle.
6. Und ja, andere Eltern schauen – aber das ist nicht dein Maßstab
Diese Blicke – du kennst sie. Das Stirnrunzeln. Das Augenverdrehen. Die lautlosen Urteile. Früher haben die mich fertig gemacht. Heute weiß ich: Diese Menschen sehen nur eine Szene. Nicht den ganzen Film.
Sie kennen nicht unsere letzte Woche. Nicht meine Nacht ohne Schlaf. Nicht seine Kita-Konflikte. Sie wissen nicht, wie oft wir’s schon geschafft haben. Und genau deshalb: Ihr Urteil ist nicht mein Kompass.
Tipps, die mir seitdem helfen (vielleicht auch dir):
1. Sofortiger Rückzug bringt meist mehr als sofortige Erziehung
Wenn die Wut kocht – beim Kind oder bei mir – hilft erstmal nur eins: raus aus der Situation. Ein Ortswechsel wirkt oft Wunder. Auch bei Erwachsenen.
2. Später erklären – nicht im Drama
Mitten im Wutanfall hört niemand zu. Nicht das Kind. Nicht ich selbst. Reden bringt erst was, wenn die Emotionen sich gelegt haben. Dann aber umso mehr.
3. Entschuldigung ist keine Schwäche
Ich habe keine Angst mehr davor, mich bei meinem Kind zu entschuldigen. Im Gegenteil: Ich sehe das als Stärke. Als Vorbild für echten Umgang mit Gefühlen.
4. Humor hilft
Ja, manchmal kann man auch später über den Ballwurf lachen. Nicht sofort. Aber irgendwann. Und das ist heilsam.
5. Ich bin nicht allein
Diese Szene – ein Kind, das schreit, ein Vater, der überfordert ist – haben viele erlebt. Es ist keine Schande. Es ist Alltag. Und es darf sein. Es ist keine Schwäche, sondern Realität.
Fazit: Große Erkenntnisse zwischen kleinen Bällen
Ich dachte, ich bring mein Kind ins Bällebad, damit es tobt. Am Ende war ich derjenige, der emotional durchgewirbelt wurde. Und vielleicht war das sogar das Beste, was passieren konnte.
Denn genau da steckt das Geschenk: Wenn wir nicht ausweichen, sondern hinschauen, dann wachsen wir. Dann verstehen wir mehr – über Wut, über Nähe, über Verantwortung. Und über uns selbst. Erziehung ist nicht das perfekte Vorbildspiel – sondern ein Beziehungsspiel. Und Beziehungen sind nicht immer leise.
Ich bin immer noch nicht der perfekte Vater. Aber ich bin ein Vater, der lernt. Und der im Bällebad eine wichtige Lektion gefunden hat:
Nicht jeder Ausbruch ist ein Rückschritt. Manchmal ist er der Anfang von mehr Verständnis.
Und falls du dich beim nächsten Mal dabei erwischst, wie du im Bällebad sitzt – genervt, schwitzend, überfordert – dann denk dran: Vielleicht passiert gerade das, woran ihr euch beide später erinnern werdet. Nicht als den perfekten Nachmittag. Sondern als einen echten.