Neulich am Abendbrottisch. Ich sitze da, kaue lustlos auf einem Brot mit Käse, mein Kind plappert munter über seinen Tag, und ich merke: Ich höre ihm nicht zu. Nicht wirklich. Mein Kopf rattert – to-do-Listen, Termine, das Projekt im Büro, der kaputte Fahrradreifen, das Elterngespräch nächste Woche. Und irgendwo dazwischen: dieses dumpfe Gefühl im Bauch. Ich bin nicht richtig hier. Ich bin leer.
Und ich weiß, ich bin damit nicht allein. Viele Männer – viele Papas – erleben genau das. Nur reden wir nicht darüber. Weil wir es nicht gelernt haben. Weil es nicht dazugehört, über sich selbst zu sprechen. Über Erschöpfung. Über Angst. Über Unsicherheit.
Die Sache mit der Rolle: Der Versorger, der Fels, der Macher
Wie viele von uns sind mit Sätzen groß geworden wie: „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ oder „Reiß dich zusammen“? Schon früh wurde uns beigebracht: Stärke heißt durchhalten. Gefühle sind Privatsache. Schwäche ist keine Option.
Und dann stehen wir da – mit Familie, Kindern, Job und Alltag – und glauben, wir müssten das alles klaglos wuppen. „Ich bin der Papa, ich muss das können.“ Also machen wir. Und machen. Und machen. Bis nichts mehr geht.
Das Problem: Wir setzen uns selbst unter einen Druck, der irgendwann zur Last wird. Der uns aufreibt. Und den wir viel zu lange ignorieren. Und das nicht aus Böswilligkeit oder Dummheit – sondern weil wir glauben, dass es genau das ist, was von uns erwartet wird. Stärke zeigen, auch wenn es innen schon lange bröckelt.
Warum Männer Warnzeichen übergehen – und wie sich das zeigt
Es beginnt oft harmlos. Ein bisschen Rückenschmerzen. Nächtliches Grübeln. Gereiztheit. Lustlosigkeit. Das Gefühl, nicht mehr abschalten zu können. Aber wer denkt da schon gleich an mentale Überlastung?
Viele Männer tun das nicht. Sie greifen zu schnellen Lösungen: Noch eine Runde joggen. Noch ein Bier zum Runterkommen. Noch eine Überstunde, weil man sich dann wenigstens nützlich fühlt.
Wir lernen, Schmerzen zu betäuben statt ihnen zuzuhören. Uns zu beschäftigen, statt innezuhalten. Bis die ersten richtigen Einschläge kommen: Schlafstörungen. Konzentrationsprobleme. Streit mit der Partnerin. Wut auf die Kinder – oder auf sich selbst.
Der Körper sendet Signale – viele sogar. Aber wir hören sie nicht. Oder wir hören sie, wollen sie aber nicht wahrhaben. Denn das würde bedeuten: Ich bin nicht mehr so belastbar wie früher. Ich brauche Hilfe. Und das einzugestehen, ist für viele ein Tabu.
Und wenn’s ganz dick kommt, stehen wir beim Arzt. Weil der Körper nicht mehr mitmacht. Weil der Geist streikt. Weil’s einfach zu viel war. Doch bis dahin vergeht oft zu viel Zeit. Zeit, in der der Körper längst auf Notbetrieb umgeschaltet hat.
Reden? Lieber nicht.
Es ist paradox: In einer Zeit, in der mentale Gesundheit endlich Thema wird, bleiben viele Männer stumm. Warum?
Weil Reden über Gefühle Mut braucht. Und weil dieser Mut vielen von uns nie beigebracht wurde. Stattdessen haben wir gelernt: „Mach dich nicht so wichtig.“ „Anderen geht’s schlechter.“ „Da musst du jetzt durch.“
Also schweigen wir. Auch vor Freunden. Auch vor der Partnerin. Wir funktionieren. Und hoffen, dass es irgendwann wieder leichter wird.
Dabei ist genau das der Fehler. Denn gerade in der frühen Phase könnten wir viel abfangen – wenn wir reden würden. Wenn wir sagen könnten: „Ich bin erschöpft.“ „Ich weiß nicht weiter.“ „Ich fühle mich verloren.“
Es fehlt an Sprache. An dem Mut, das auszusprechen, was wir fühlen. Stattdessen sagen wir Sätze wie: „Wird schon wieder.“ Oder: „Ich hab nur schlecht geschlafen.“ Dabei wissen wir tief drin längst: Da ist mehr.
Der Papa-Faktor: Wenn Liebe zur Belastung wird
Kinder verändern alles. Zum Guten – und auch zum Herausfordernden. Plötzlich sind da kleine Menschen, die dich brauchen. Die dich anschauen, als wärst du ein Held. Und du willst ihnen genau das sein.
Aber was, wenn du innerlich gar kein Held bist? Wenn du zweifelst, müde bist, überfordert? Dann entsteht oft ein Konflikt: Der Anspruch, der du als Vater sein willst – und der Mensch, der du gerade bist, passen nicht zusammen.
Viele Papas kompensieren das mit Aktivismus. Noch mehr Unternehmungen, noch mehr Kuscheln, noch mehr Einsatz. Aber irgendwann kippt es. Dann wird aus Liebe Druck. Und aus Druck Überforderung.
Und irgendwann spürst du: Du bist zwar da – aber innerlich nicht mehr präsent. Du bist körperlich im Wohnzimmer, aber mental ganz woanders. Und das frustriert. Dich. Deine Partnerin. Deine Kinder.
Was fehlt? Pausen. Räume, in denen du einfach mal sein darfst. Ohne Anspruch. Ohne Aufgaben. Nur du.
Der Körper spricht – aber wir hören nicht zu
Burnout beginnt nicht plötzlich. Es schleicht sich an. Mit leisen, aber deutlichen Zeichen:
- Du bist morgens schon erschöpft, obwohl du acht Stunden geschlafen hast.
- Du hast keine Lust mehr auf Dinge, die dir früher Freude gemacht haben.
- Du reagierst gereizt, manchmal sogar aggressiv – ohne richtigen Grund.
- Du hast körperliche Beschwerden, die sich nicht erklären lassen.
- Du ziehst dich zurück – emotional und sozial.
Wenn du dich in diesen Punkten erkennst: Hör hin. Nimm es ernst. Und vor allem: Mach dir keinen Vorwurf. Du bist nicht schwach. Du bist erschöpft. Und das ist ein großer Unterschied.
Das Problem ist: Die Welt dreht sich weiter. Der Alltag macht keine Pause. Die Kinder wollen Aufmerksamkeit. Der Job ruft. Und du hast das Gefühl, du musst mitziehen – obwohl du längst auf dem Zahnfleisch gehst.
Was hilft? Erste Schritte aus dem Tunnel
Der wichtigste Schritt: Anerkennen, dass etwas nicht stimmt. Ohne Rechtfertigung. Ohne Relativierung. Einfach ehrlich hinschauen.
Dann: Reden. Mit der Partnerin. Mit Freunden. Mit einem Coach oder Therapeuten. Was auch immer für dich passt – Hauptsache, du bleibst nicht allein.
Und schließlich: Neue Routinen schaffen. Keine riesigen Veränderungen – kleine, machbare Dinge:
- Eine halbe Stunde Spaziergang pro Tag – ohne Handy.
- Eine feste Zeit nur für dich – lesen, Musik, nichts tun.
- Ein ehrlicher Check-In: Wie geht’s mir heute wirklich?
- Bewegung, nicht aus Pflicht, sondern zur Entlastung.
- Einmal die Woche bewusst mit einem Freund sprechen – nicht nur über Fußball, sondern übers Leben.
Und ja: Manchmal ist professionelle Hilfe nötig. Das ist keine Niederlage. Sondern ein Zeichen von Verantwortung. Für dich. Für deine Familie.
Neue Männlichkeit – wie sie aussehen kann
Es braucht ein neues Bild von Männlichkeit. Eines, das nicht auf Stärke durch Schweigen setzt. Sondern auf Ehrlichkeit. Auf Verletzlichkeit. Auf Verbindung.
Ein Mann ist nicht stark, weil er alles allein schafft. Sondern weil er weiß, wann er Unterstützung braucht.
Ein Papa ist kein Held, weil er nie wankt. Sondern weil er da ist – mit allem, was ihn ausmacht. Auch mit seinen Zweifeln.
Dieses neue Bild müssen wir uns selbst erschaffen. Mit jedem Gespräch. Mit jeder Pause. Mit jedem Moment, in dem wir sagen: Ich bin auch wichtig.
Wir brauchen Vorbilder. Männer, die öffentlich zeigen: Ich geh zur Therapie. Ich bin erschöpft. Ich brauche Hilfe. Nicht als Schwäche – sondern als Normalität.
Fazit: Früh hinschauen, ehrlich sein, Pausen zulassen
Wir Männer – wir Papas – dürfen lernen, früher auf uns selbst zu achten. Nicht, weil wir egoistisch sind. Sondern weil wir Verantwortung tragen. Für uns. Für unsere Kinder. Für ein Leben, das nicht nur funktioniert, sondern sich auch gut anfühlt.
Es braucht Mut, sich selbst wichtig zu nehmen. Aber genau dieser Mut macht den Unterschied. Und am Ende zeigt er deinen Kindern: Du bist nicht nur ihr Papa – du bist auch ein Mensch. Und das ist das stärkste Vorbild, das du sein kannst.
Also sei ehrlich. Zu dir. Und zu denen, die dich lieben.