Es hat mich einfach umgehauen. Ich stand in der Küche, wollte nur schnell die Spülmaschine ausräumen – und konnte nicht mehr. Meine Hände zitterten, mein Brustkorb schnürte sich zusammen, Tränen liefen mir über die Wangen. Ohne Vorwarnung. Oder sagen wir besser: ohne, dass ich die vielen Warnungen ernst genommen hatte. Burnout. Ich. Papa. Der Typ, der doch sonst alles im Griff hat. Der funktioniert. Der „sich nicht so anstellt“.
Die Geschichte eines Zusammenbruchs – und warum sie nicht ungewöhnlich ist
Ich bin kein Einzelfall. Ich bin nicht der überforderte Sonderling mit fehlender Resilienz. Ich bin Vater. Und das allein reicht heute oft schon aus, um irgendwann an die Grenze zu kommen – oder darüber hinaus.
Die Erwartungen, die an uns gestellt werden, sind riesig. Beruflich, privat, gesellschaftlich. Wir sollen liebevoll und präsent sein, gleichzeitig leistungsstark und erfolgreich. Wir sollen Verantwortung übernehmen, mitdenken, vorleben, anleiten, fördern, trösten – und dabei am besten immer lächeln.
Und das Ganze bitte mit Leichtigkeit, Humor und dem richtigen Maß an Selbstironie – sonst gilt man gleich als anstrengend. Die Realität sieht anders aus: Viele Väter brennen innerlich aus, lange bevor sie es sich selbst eingestehen. Und noch viel länger, bevor es jemand im Umfeld bemerkt.
Burnout bei Vätern ist kein Modethema. Es ist real. Es ist häufig. Und es ist verdammt gefährlich, dass wir kaum darüber reden.
Was ist Burnout überhaupt – und wie fühlt es sich an?
Burnout ist mehr als „nur müde“. Es ist mehr als „ich brauch mal ne Pause“. Es ist ein Zustand völliger innerer Erschöpfung – körperlich, emotional, geistig. Du bist leer. Du kannst nicht mehr denken, nicht mehr fühlen, nicht mehr handeln. Und das Schlimmste: Du erkennst dich selbst nicht wieder.
Es beginnt oft schleichend. Mit schlechterem Schlaf. Mit Gereiztheit. Mit dem Gefühl, nie richtig durchatmen zu können. Du funktionierst noch – aber du spürst dich kaum noch. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem nichts mehr geht. Du wirst zum Schatten deiner selbst.
Burnout zeigt sich bei jedem anders. Manche werden still, ziehen sich zurück. Andere werden laut, reizbar, sarkastisch. Wieder andere schaffen es noch, äußerlich zu strahlen – während sie innerlich längst zusammengebrochen sind.
Warum gerade Väter so oft betroffen sind – ohne es zu merken
Männer reden nicht. Väter erst recht nicht. Zumindest nicht über ihre Schwächen. Und genau das macht Burnout so gefährlich: Es bleibt lange unentdeckt. Weil wir es überspielen. Weil wir glauben, stark sein zu müssen. Weil wir keine Zeit haben, hinzusehen.
Der Mental Load, den viele Väter tragen, ist enorm – auch wenn er oft nicht so genannt wird. Organisation, emotionale Verantwortung, finanzielle Sicherheit, Partnerschaftspflege, Kindertermine, Geburtstage, Einschlafbegleitung, Jobdruck, Zukunftsplanung. Und über allem der Anspruch, dabei cool, souverän und ausgeglichen zu wirken.
Hinzu kommt: Viele Väter erleben Isolation. Es gibt kaum Austausch. Kaum ehrliche Gespräche. Kaum echte Pausen. Und wenn dann noch gesellschaftliche Erwartungen, familiärer Druck und eigene Ansprüche aufeinandertreffen, entsteht ein explosives Gemisch – das früher oder später hochgeht.
Die 5 Phasen meines persönlichen Burnouts – und wie ich sie rückblickend erkenne
Phase 1: Der Dauerläufer-Modus
Ich war einfach immer in Bewegung. Ich habe Aufgaben weggeschafft, wie ein Hamster im Rad. Viel Kaffee, wenig Schlaf. Nie Zeit, mal stehenzubleiben. Ich dachte, das sei normal. „So ist das eben als Vater.“ Ich fühlte mich sogar stark dabei – so gebraucht, so relevant, so wichtig.
Phase 2: Die Gereiztheit
Ich wurde dünnhäutiger. Ungeduldiger. Ich schnauzte meine Kinder an – nicht laut, aber oft. Ich war genervt von meiner Frau, obwohl sie nichts dafür konnte. Ich spürte, wie ich mich veränderte. Aber ich dachte, es liegt an der Phase. An der Müdigkeit. An den Kindern. Ich konnte mich selbst nicht mehr gut leiden, aber ich versuchte, es zu ignorieren.
Phase 3: Die emotionale Taubheit
Ich konnte mich über nichts mehr richtig freuen. Ich saß auf dem Boden und spielte mit meinem Sohn – und wartete innerlich nur auf das Ende. Ich war da, aber nicht wirklich. Ich fühlte mich leer. Wie ein Beobachter in meinem eigenen Leben. Selbst gute Nachrichten konnten mich nicht erreichen. Alles war irgendwie grau.
Phase 4: Der Kontrollverlust
Ich vergaß Dinge. Ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich verlor den Überblick. Ich wusste nicht mehr, was ich wann erledigen sollte. Und gleichzeitig machte ich mir Vorwürfe, weil ich versagte. Ich schämte mich für meine Überforderung. Ich versuchte, es mit noch mehr Struktur zu kompensieren – aber mein Kopf spielte nicht mehr mit.
Phase 5: Der Zusammenbruch
Der Moment in der Küche. Der Moment, an dem ich nicht mehr konnte. Der Moment, an dem ich weinte wie ein Kind – weil ich selbst kaum noch wusste, wer ich war. Es war der Tiefpunkt – aber rückblickend auch der Wendepunkt.
Was Burnout bei Vätern anders macht – und warum wir neue Lösungen brauchen
Burnout bei Vätern ist oft unsichtbar. Weil viele von uns gelernt haben, zu funktionieren. Weil wir unsere Rolle oft nur über Leistung definieren. Und weil es gesellschaftlich immer noch wenig Verständnis dafür gibt, wenn Männer „nicht mehr können“.
Es braucht neue Männerbilder. Neue Erzählungen. Neue Vorbilder. Es braucht öffentliche Gespräche, offene Bücher, sichtbare Erfahrungen. Denn erst, wenn andere Väter sagen: „Ja, ich kenne das“, entsteht das Gefühl: Ich bin nicht verrückt. Ich bin nicht allein.
Wir brauchen niedrigschwellige Angebote. Männliche Therapeuten, Vätergruppen, Onlineformate, die nicht belehren, sondern verstehen. Wir brauchen Räume, in denen Väter einfach sein dürfen – mit allem, was da ist. Und wir brauchen Arbeitgeber, die psychische Gesundheit ernst nehmen – auch bei Männern.
Erste Hilfe: Was du tun kannst, wenn du dich wiedererkennst
- Sprich es aus. Egal mit wem. Aber sprich. Das Schweigen ist der erste Brandbeschleuniger.
- Hol dir Hilfe. Hausarzt, Psychotherapeut, Männerberatung – es gibt Wege. Und sie sind nicht peinlich, sondern stark.
- Setz Grenzen. In der Arbeit. In der Familie. In deinem Kopf. Du musst nicht alles schaffen.
- Nimm dich ernst. Dein Schmerz ist real. Deine Erschöpfung ist real. Du bist nicht schwach – du bist am Limit.
- Finde Verbündete. Männergruppen, Podcasts, Vätercafés – wo auch immer du dich öffnen kannst, geh hin.
- Achte auf deinen Körper. Schlaf, Bewegung, Ernährung – sie sind keine Luxuspflege, sondern deine Basis.
- Plane echte Pausen. Keine halbgaren Lücken zwischen Terminen – sondern bewusste Auszeiten, ohne Anspruch.
Wie ich rausgefunden habe – Schritt für Schritt zurück zu mir
Ich habe mir eine Auszeit genommen. Eine echte. Keine „Ich mach Homeoffice und kümmer mich nebenbei“-Nummer. Ich bin für zwei Wochen raus. Allein. Ohne Kinder. Ohne To-do-Liste. Nur mit einem Notizbuch und dem Ziel, wieder zu atmen.
Ich habe geschlafen. Ich habe gelesen. Ich bin spazieren gegangen. Ich habe geweint. Ich habe geschwiegen. Und ich habe langsam wieder gespürt, wer ich bin, wenn ich nichts leisten muss.
Zurück im Alltag war nicht alles gut. Aber es war anders. Ich habe gesprochen. Ich habe Aufgaben abgegeben. Ich habe Termine abgesagt. Ich habe begonnen, mich nicht mehr über Produktivität zu definieren. Ich habe gelernt, Nein zu sagen – nicht gegen andere, sondern für mich.
Ich habe mir professionelle Hilfe geholt. Therapie. Coaching. Und ja – ich habe mich dabei anfangs geschämt. Aber heute bin ich stolz. Weil ich für mich und meine Familie etwas getan habe, das wichtiger war als jede Präsentation, jedes Spielzeug und jede Pünktlichkeit.
Was ich heute anderen Vätern sagen will
Du musst nicht zusammenbrechen, um gesehen zu werden. Du musst nicht alles allein schaffen. Du darfst Hilfe brauchen. Du darfst weinen. Du darfst wütend sein. Und du darfst Pausen machen – nicht irgendwann, sondern jetzt.
Burnout ist kein Zeichen von Versagen. Es ist ein Alarmsignal. Ein Hinweis deines Körpers und deiner Seele, dass etwas nicht mehr passt. Dass du dich selbst verloren hast in all den Rollen, in all den Anforderungen.
Aber du kannst dich wiederfinden. Mit Zeit. Mit Unterstützung. Mit Ehrlichkeit. Du kannst loslassen, lernen, atmen – und wieder zurückfinden in dein Leben. Nicht perfekt. Aber ehrlich. Und echt.
Du bist Papa. Und du bist auch Mensch. Und beides verdient Fürsorge. Und Raum. Und Respekt.