Es fing alles ganz harmlos an. Der Kleine hatte seinen U-Untersuchungstermin – diesmal bei mir im Kalender. Meine Frau musste arbeiten, ich war in Elternzeit. „Kein Problem, ich mach das schon“, sagte ich. Großspurig. Selbstbewusst. Und ehrlich gesagt auch ein bisschen naiv.
Denn was folgte, war nicht nur der erste Arztbesuch mit Kind ohne Mama, sondern auch die Erkenntnis, dass man als Papa manchmal einfach… sagen wir: anders vorbereitet ist.
Die Vorbereitung: Chaotisch mit Checkliste
Am Abend vorher fragte meine Frau: „Weißt du, wo der Impfpass ist?“
Ich: „Klar!“ (Das war gelogen.)
Zehn Minuten später hatte ich den halben Küchenschrank durchsucht, während mein Sohn neben mir einen Joghurtdeckel als Hut verwendete. Ich fand den Impfpass irgendwann zwischen Bastelpapier und der Anleitung für den Windeleimer.
Dann: Krankenversicherungskarte. Wechselsachen. Snacks. Lieblingsstofftier. Ich fühlte mich wie auf einer Expedition – und ein bisschen stolz, als ich alles parat hatte. Zur Sicherheit packte ich sogar zwei Sorten Obst ein – eines für den Kleinen, eines für mich. Man weiß ja nie, wie lange so ein Arztbesuch dauern kann.
Der Morgen: Voller Motivation und Müsli
Ich wachte früher auf als nötig, bereit, dem Tag zu zeigen, dass Papas das auch alleine können. Frühstück lief erstaunlich gut – nur ein Müsliunfall am Ärmel und eine Diskussion über die Farbe der Socken. Nichts, was mich aus der Ruhe brachte.
Wir spielten noch kurz Feuerwehr auf dem Wohnzimmerteppich, dann ging’s los. Kind angezogen, Unterlagen eingepackt, wir ab ins Auto – und pünktlich in der Praxis angekommen. Ich war kurz davor, mich selbst zu feiern.
Bis wir ins Wartezimmer kamen.
Wartezimmer: Der Ort, an dem Zeit stillsteht
Es war voll. Natürlich. Ein Säugling schrie, ein Kleinkind warf Bauklötze, zwei Mütter diskutierten leise über Hustensaft, und ich versuchte, einen Platz zu finden, auf dem mein Sohn nicht sofort alles anfasst.
Er wollte spielen. Ich wollte nicht, dass er das Spielzeug anfasst, das schon 87 andere Kinder mit fragwürdiger Handhygiene benutzt hatten. Es begann ein kleiner Tanz aus „Papa, darf ich?“ und „Nein, lieber nicht“ – begleitet von bösen Blicken und verständnisvollem Nicken anderer Eltern.
Ich versuchte, mit einer Banane abzulenken. Kurzzeitig erfolgreich. Dann kam der Moment, in dem mein Sohn auf einem Bein hüpfte und lautstark „Ich bin ein kranker Flamingo“ durch den Raum sang. Und ich… atmete. Tief. Mehrmals.
Nach 20 Minuten und drei Zwieback-Krümelattacken wurden wir aufgerufen.
Im Behandlungszimmer: Und jetzt?
Die Ärztin war nett. Freundlich. Professionell. Sie begrüßte meinen Sohn, der sofort seinen Dino zeigte und auf den Stuhl kletterte, als hätte er nie etwas anderes gemacht.
„Und, wie geht’s euch denn so? Irgendwelche Auffälligkeiten?“
Ich: „Nö. Also, ich glaub nicht.“
Sie: „Wie schläft er?“
Ich: „Ganz gut, glaub ich.“
Sie: „Wieviel spricht er denn schon?“
Ich: „Ähm… naja… also er sagt halt Sachen. Also, Dinge.“
Ich merkte, wie ich rot wurde. Mein Sohn zeigte währenddessen auf ein Poster mit Körperteilen und sagte stolz: „Popo!“ Ich lachte. Die Ärztin auch. Immerhin hatte er Humor – das kommt bestimmt von mir.
Die Sache mit der Impfung – und Papas gefährliche Freiheit
Dann kam der Satz, der alles veränderte:
„Also, wir könnten heute auch gleich impfen, wenn Sie möchten.“
Ich erstarrte. Impfen? Heute? Jetzt? Ich hatte keine Ahnung, was meine Frau dazu sagen würde. Oder ob das geplant war. Oder ob ich das entscheiden darf.
„Äh… also… vielleicht… ich weiß nicht, ob…“
Die Ärztin sah mich freundlich an. „Möchten Sie Ihre Frau kurz anrufen?“
Ich nickte, tat so, als würde ich aufs Handy schauen, aber ich hatte keinen Empfang. Mein Sohn trommelte inzwischen mit dem Stethoskop auf dem Boden. Ich entschied – aus Angst, etwas falsch zu machen – gegen die Impfung. Erstmal nachfragen. Erstmal Sicherheit. Erstmal kein Stress.
Im Nachhinein hätte ich einfach sagen können: „Ich muss das mit meiner Frau besprechen.“ Aber ich hatte das Gefühl, ich müsste hier und jetzt eine Entscheidung treffen. Und das Gefühl, dabei keine Ahnung zu haben.
Die Fragen, die ich nicht beantworten konnte
- Wie groß war er bei der Geburt?
- Wann hat er mit Krabbeln angefangen?
- Wie viele Wörter spricht er aktuell?
- Gibt es Allergien in der Familie?
- Hat er letzte Woche Fieber gehabt?
Ich wusste… einiges. Aber nicht alles. Und die Reihenfolge der Entwicklungsschritte hatte ich grob im Kopf – aber bei der U-Untersuchung merkt man schnell: „grob“ reicht nicht.
Ich fragte mich, warum ich nicht vorher mehr gefragt hatte. Oder warum wir keine kleine Übergabe mit Notizen gemacht hatten. Wie eine Staffelstab-Übergabe. Nur eben mit Kinderfragen.
Die Ärztin war geduldig – und mein Sohn charmant
Zum Glück war sie verständnisvoll. „Das ist völlig okay, beim nächsten Mal weißt du’s einfach. Oder du bringst deine Frau wieder mit.“
Mein Sohn kicherte, als sie ihm in die Ohren schaute, und ich entspannte mich langsam wieder. Bis er mir ins Ohr flüsterte: „Papa, ich muss kacka.“
Sofort. Dringend. Ohne Vorwarnung.
Notfalltoilette und Endgegner Windel
Wir sprinteten ins Eltern-WC. Ich kämpfte mit Body, Windel, Ersatzhose und der Tatsache, dass die Wickelunterlage mehr nach Schlachtfeld als nach Praxis roch. Mein Sohn kommentierte währenddessen laut jede meiner Handgriffe: „Papa, das ist die alte Windel. Die ist stinki. Die Neue ist weich!“ Danke, mein Schatz.
Und natürlich: keine Feuchttücher mehr in meiner Tasche. Nur ein altes Taschentuch. Improvisation ist alles. Ich fühlte mich wie ein MacGyver der Babyhygiene. Am Ende war alles sauber – irgendwie – und wir kehrten zurück.
Als wir wieder im Zimmer waren, hatte die Ärztin schon einen neuen Patienten. Wir verabschiedeten uns mit einem Lächeln und einem leichten Geruch von Vanille und Babykot.
Der Rückweg – und ein kurzes Gespräch mit Mama
Im Auto rief ich meine Frau an. „Wie war’s?“
Ich: „Gut. Also… ich hab gegen die Impfung entschieden. Und bei den Fragen hab ich bisschen geraten.“
Kurze Pause am anderen Ende. Dann: Lachen. „Du hast es geschafft. Ich bin stolz auf dich.“
Und ich? Ich war’s auch. Nicht perfekt. Nicht glatt. Aber ehrlich. Und irgendwie ganz Papa.
Und in Gedanken schrieb ich mir eine Liste: Für das nächste Mal. Oder für jeden Papa, der denkt, das kriegt er schon hin.
Fazit: Allein mit Kind beim Arzt – chaotisch, ehrlich und ziemlich lehrreich
Ich hab nicht alle Fragen richtig beantwortet. Ich hab die Impfung nicht entscheiden wollen. Und ich hatte keine Feuchttücher.
Aber ich war da. Ich hab mein Kind begleitet. Ich hab gelernt. Und das nächste Mal?
Da frag ich vorher einfach nochmal Mama. Oder ich schreibe mir selbst eine kleine Checkliste:
- Impfpass
- Feuchttücher
- Alle Kinderfragen vorher einmal durchgehen
- Entscheidungen vorher absprechen
- Und: Humor nicht vergessen
Denn auch wenn ich (fast) alles falsch gemacht hab – das Wichtigste war richtig: Ich war da. Voll dabei. Als Papa. Und das zählt.