Es war ein Dienstagabend. Draußen nieselte es. Die Kinder waren endlich im Bett (also fast), meine Frau sah mich mit einem Blick an, der keine Diskussion zuließ, und sagte: „Heute bist du dran. Schul-Elternabend.“
Ich schluckte. Ich nickte. Ich ahnte, was mich erwartet – und doch wusste ich nichts. Nur eins war klar: Ich gehe rein. Für meine Familie. Für die Gerechtigkeit. Für die Kekse, falls es welche gibt.
Kapitel 1: Der Auftrag
Der Schul-Elternabend beginnt nicht in der Schule. Er beginnt zu Hause. Mit einer Übergabe. Eine Mission.
Meine Frau drückt mir einen Notizzettel in die Hand: „Frag, wie’s mit dem Wandertag aussieht. Und ob Leon seine Schwimmurkunde bekommt. Ach ja – und sag Bescheid, dass wir uns gerne für das Sommerfest melden, aber nicht am Grill stehen wollen.“
Ich: „Klar. Kriege ich hin.“
Sie: „Schreib’s dir lieber auf.“
Ich nicke. Ich lächle. Ich schreibe es nicht auf. Ich meine – wie schwer kann das schon sein?
Kapitel 2: Der Eingang – Tarnung und Täuschung
Angekommen in der Schule. Der Geruch: ein Mix aus Wischwasser, Bastelkleber und Anspannung. Ich schleiche durch den Flur, als wäre ich auf Spionageeinsatz. Ein leises Quietschen meiner Schuhe verrät mich kurzzeitig. Ich blicke mich um – niemand hat’s gehört. Vielleicht.
Andere Väter nicken mir zu – wortlos, aber mit dieser „Wir sitzen alle im gleichen Boot“-Mimik. Die Mütter sehen vorbereitet aus. Block, Stift, Wasserflasche. Ich fühle mich wie ein Amateur, der versehentlich in einer Profi-Konferenz gelandet ist.
Vor der Klassenzimmertür ein Schild: „Elternabend 3b – bitte pünktlich“. Ich bin pünktlich. Noch.
Kapitel 3: Die Sitzwahl – strategisches Minenfeld
Ich betrete das Klassenzimmer. Die Stühle sind zu klein, die Tische auch. An der Tafel steht in bunter Schrift: „Willkommen liebe Eltern!“ Daneben: Ein Smiley mit Sonnenbrille. Ich setze mich möglichst weit hinten hin. Nicht zu nah an die Tür (wirkt fluchtbereit), aber auch nicht zu weit vorne (Signal: Ich will was sagen).
Daneben sitzt eine Mutter mit Thermobecher. Sie schaut ernst. Ich beschließe, keine Fragen zu stellen. Stattdessen versuche ich unauffällig herauszufinden, ob irgendwo ein Teller mit Keksen steht. Tut er nicht.
Kapitel 4: Die Lehrerin – freundlich, aber gefährlich
Die Tür geht auf. Die Klassenlehrerin betritt den Raum. Dynamisch, mit einem Laptop unter dem Arm und einem leicht nervösen Lächeln. Sie kennt alle Kinder beim Namen. Und alle Eltern. Nur mich nicht. Ich bin „der Vater von Leon“.
Sie beginnt mit einer PowerPoint-Präsentation. Thema: „Das Schuljahr 2024/2025 – ein gemeinsamer Weg“. Ich notiere mir: Folien: 36. Themen: 12. Pausen: keine.
Es folgen Updates zu Ausflügen, Projektwochen, Verhalten im Klassenverband und einem neuen Toilettenplan, der laut ihrer Aussage „für mehr Entspannung im Alltag“ sorgen soll. Ich frage mich kurz, ob dieser Plan auch für uns Eltern zu Hause gelten könnte.
Kapitel 5: Die Agenda – keine Chance zur Flucht
Die Liste ist lang. Sehr lang. Lehrplan. Sozialverhalten. Ausflüge. Digitales Lernen. Essenssituation. Toilettennutzung. Der Musikraum. Die Ampelregel. Das Leseprojekt. Tablets in der Klasse. Eltern-WhatsApp-Gruppe.
Ich nicke. Ich verstehe nicht alles. Aber ich nicke weiter. Die Mutter neben mir macht sich Notizen in Farben. Ich male ein Quadrat in mein Heft und schreibe rein: „Wandertag?“ – neben eine Liste, die ich inzwischen als „Wichtige Fragen, die ich hoffentlich nicht vergesse“ überschrieben habe.
Kapitel 6: Die Diskussion – oder: Eltern auf dem Kriegspfad
Dann kommt der offene Teil. Fragen. Vorschläge. Wünsche. Und plötzlich wird der Elternabend zum Live-Drama:
- „Warum hat mein Kind nie eine zweite Banane dabei?“ (Frage einer empörten Mutter)
- „Mein Sohn sagt, er darf kein Blau mehr malen. Stimmt das?“ (Ich frage mich, ob ich das richtig verstanden habe)
- „Warum werden die Gummibärchen am Geburtstag nicht gleichmäßig verteilt?“ (Aha, darum also ging’s Leon neulich!)
- „Ist es pädagogisch sinnvoll, dass ein Kind zweimal in der Woche den Tafeldienst übernehmen muss?“
Ich merke: Die Eltern sind bereit. Für Gerechtigkeit. Für Transparenz. Für alles – nur nicht fürs frühe Ende des Abends.
Die Lehrerin bleibt souverän. Sie lächelt. Sie moderiert. Und manchmal, ganz selten, blitzt in ihrem Blick diese leise Verzweiflung auf, die nur jemand kennt, der schon mal 28 Grundschulkinder durch einen Regentag gebracht hat.
Kapitel 7: Der Elternbeirat – keiner will’s machen, alle haben Meinungen
Die Lehrerin lächelt müde. „Wir bräuchten noch zwei Eltern für den Elternbeirat.“
Stille.
Eine Sekunde. Zwei. Fünf. Niemand bewegt sich.
Ich halte den Atem an. Bloß nicht blinzeln. Keine falsche Bewegung. Ich spüre die Blicke. Jeder denkt das Gleiche: Nicht schon wieder ich.
Plötzlich sagt jemand: „Also wenn sonst keiner will – ich kann’s nochmal machen.“
Erleichterung in allen Gesichtern. Ich bin frei. Für dieses Jahr. Aber ich notiere innerlich: Nächstes Mal früher einen Fluchtweg planen.
Kapitel 8: Die Keks-Frage – ein Mythos zerplatzt
Ich blicke mich um. Kein Teller. Kein Kaffee. Keine Nervennahrung. Nur ein halbvoller Wasserkrug und Plastikbecher. Das Klischee stimmt nicht.
Ich notiere innerlich: Nächstes Jahr eigenen Keks mitbringen. Doppelkeks. Schokolade. Reserve für Sitznachbarn. Vielleicht Mini-Salami für Notfälle.
Und wenn ich wirklich mutig bin: Thermoskanne. Kaffee. Mit Milch. Zwei Zucker. Papa-Edition.
Kapitel 9: Mission Erinnerung – und der heimliche Stress
Die Präsentation ist vorbei. Die Lehrerin bedankt sich. Wir klappen unsere Stifte ein. Ich verabschiede mich von meiner Nachbarin (sie lächelt diesmal). Auf dem Weg nach Hause gehe ich die Liste durch:
- Wandertag? Erwähnt, aber kein Termin. (Fragezeichen.)
- Schwimmurkunde? Wird verteilt nächste Woche. (Erfolg!)
- Sommerfest? Grillstation ist schon vergeben. Ich hab uns fürs Glücksrad gemeldet. (Neutral.)
Ich betrete das Wohnzimmer. Meine Frau sieht mich an. „Und?“ fragt sie.
Ich sage: „Mission erfüllt. Fast.“
Sie nickt. Wir lächeln beide. Und ich weiß: Ich habe überlebt. Und ich habe gelernt.
Kapitel 10: Fazit eines Vaters – Schul-Elternabend ist kein Pflichttermin, es ist ein Abenteuer
Ich dachte, ich gehe zu einem harmlosen Termin. Ein bisschen zuhören, ein paar Häkchen setzen, wieder heim. Stattdessen war ich auf einer Mission. Mit Risiken. Mit Nebelgranaten in Form von Fachbegriffen. Und mit überraschend viel echter Nähe zum Schulalltag meines Kindes.
Ich habe gesehen, wie viel Engagement hinter der Arbeit der Lehrkräfte steckt. Wie sehr Eltern mit ihren Fragen oft einfach nur sagen wollen: Ich will, dass es meinem Kind gut geht. Und ich habe gelernt, dass Zuhören manchmal mehr bewirkt als jeder Vorschlag.
Beim nächsten Elternabend bin ich wieder dabei. Mit Block. Mit Keks. Und mit dem Wissen: Das ist nicht nur ein Pflichttermin. Das ist gelebte Elternschaft. Und wer weiß – vielleicht bringe ich sogar einen eigenen Beamer mit, nur um auf Augenhöhe zu sein.
Und wer weiß – vielleicht melde ich mich sogar freiwillig für den Basteltisch beim Sommerfest. Vielleicht. Vielleicht aber auch erst im übernächsten Jahr.