Ich weiß noch genau, wie ich mich gefühlt habe, als wir das Baby das erste Mal zu Hause hatten. Stolz wie Bolle. Die Mischung aus Schlafmangel, Euphorie und „Ich mach das jetzt richtig gut“-Einstellung war berauschend. Ich war der Papa. Und ich wollte der Beste sein. Also beschloss ich an einem Samstagmittag, ein bisschen Stimmung ins Wohnzimmer zu bringen – und spielte mit unserer Großen. Nur ein bisschen. Vielleicht auch ein bisschen zu laut. Und dann kam die Lektion.
Die Stimmung war eigentlich super
Unsere Große, damals knapp vier, war voller Energie. Mama war endlich mal duschen, das Baby lag schlafend im Beistellbett im Schlafzimmer, und ich wollte den Moment nutzen: Papa-Zeit. Also zogen wir alle Register. Ich schnappte mir ihre bunten Bausteine, baute mit ihr einen Turm – nein, eine Burg – mit Zugbrücke, Drachenfalle und Ritterin auf dem Thron. Wir kicherten, wir kommentierten, wir klatschten uns ab. Es war einer dieser seltenen, echten Papa-Tochter-Momente, die einem ein bisschen das Herz aufgehen lassen.
Dann kam die Idee mit dem Staubsauger.
Nicht zum Putzen – nein. Sondern als Lautsprecher. Ich erinnere mich vage daran, dass ich als Kind mal ein Mikrofon in den Staubsaugerschlauch gehalten habe. Also improvisierte ich: Wir taten so, als sei der Staubsauger eine Rockgitarre. Ich sang „Let it Go“, meine Tochter brüllte „Eiskönigin“-Zitate, wir sprangen auf dem Sofa – naja, mehr ich als sie. Sie lachte. Ich lachte. Und dann kam es. Ein Laut. Kein Musiklaut. Kein Kichern.
Ein Babylaut.
Der Sound der Reue: Ein schrilles Schreien
Es begann leise. Dann lauter. Dann dieses Schreien, das alle Eltern nach wenigen Tagen erkennen: „Ich war gerade im Himmel des Babyschlafs und ihr habt mich mit eurem Chaos da rausgeholt!“
Ich stand wie versteinert. Meine Tochter ebenfalls. Und dann rief sie: „Papa! Du hast das Baby aufgeweckt!“ BÄM. Der erste Stich. Und ich wusste: Ja. Hab ich. Und jetzt musste ich das ausbaden.
Ich rannte ins Schlafzimmer. Meine Frau kam mir im Handtuch entgegen. „Was hast du gemacht?“ – Ich: „Nichts. Also… vielleicht ein bisschen zu laut…“ Sie sah mich an, als hätte ich beim Pokern das Haus verloren.
Das Baby ließ sich nicht beruhigen. Nicht von mir. Nicht von ihr. Nicht von Milch. Nicht von Schuckeln. Es war rausgerissen worden aus seinem Mini-Tagtraum. Und es war… sauer.
Papa lernt: Laut ist nicht gleich lustig
Ich setzte mich später auf das Sofa, noch immer mit diesem bitteren Gefühl im Bauch. Ich hatte etwas kaputt gemacht. Nicht die Stimmung – die auch – sondern Vertrauen. Zwischen Baby und Schlaf. Zwischen mir und meiner „Ich hab alles im Griff“-Blase.
Und plötzlich wurde mir klar: Ich bin nicht mehr nur Spielkamerad. Ich bin Teil eines Systems. Ein Element im Familiengefüge. Meine Laune, meine Lautstärke, meine Aktionen – alles hat Konsequenzen.
Das war meine erste Papa-Lektion. Die schmerzte. Und genau deshalb blieb sie hängen.
Lerneffekt mit Langzeitwirkung
Am Abend saß ich mit meiner Frau auf dem Sofa. Wir tranken unseren „Gleich-geht’s-bestimmt-wieder-los“-Tee, als sie sagte: „Weißt du, du musst nicht der perfekte Entertainer sein. Manchmal reicht’s einfach, da zu sein.“
Das klang erst wie ein kleiner Trost. Aber es war ein verdammt guter Satz. Denn in meinem Kopf war Papa-Sein bis dahin so etwas wie ein Dauer-Improvisationstheater mit Clown-Ausbildung. Hauptsache Action. Aber das Baby hatte mir gerade gezeigt: Es geht um viel mehr. Um Rücksicht, um Feingefühl. Und ja, auch mal ums Leise sein.
Die nächsten Tage war ich wie auf Lautstärke-Entzug. Ich schlich durchs Wohnzimmer, flüsterte bei der Gute-Nacht-Geschichte und erschrak bei jedem Husten aus dem Kinderzimmer. Aber – das pendelte sich wieder ein. Ich lernte, wann laut okay ist. Und wann nicht. Dass ein „Jetzt nicht, Papa“ aus dem Schlafzimmer nicht gegen mich gerichtet ist – sondern einfach nur bedeutet: „Wir brauchen gerade Ruhe.“
Und ich begriff, dass echte Papa-Zeit auch dann wertvoll ist, wenn sie ganz leise passiert. Beim gemeinsamen Malen. Beim Bücher anschauen. Beim einfach Nur-Da-Sein.
Wenn die Welt sich leise dreht
Tage später traf ich einen anderen Vater auf dem Spielplatz, der gerade sein Neugeborenes in der Trage hatte. Wir kamen ins Gespräch. Und wie es bei uns Papas so ist, landeten wir irgendwann bei unseren „Fails“. Ich erzählte ihm von meinem kleinen Konzert und dem bitteren Erwachen. Er lachte und meinte: „Kenn ich. Ich hab mal die Spülmaschine mit dem Schlaflied verwechselt. Dreißig Minuten Babygebrüll, weil ich auf ‘Eco’ gedrückt hab.“
Und da war er wieder, dieser Trost, den man als Vater so dringend braucht: Du bist nicht allein. Wir alle lernen. Auf die harte Tour. Mit schreienden Babys und genervten Partnerinnen. Aber genau das macht’s aus.
Neue Rituale, neue Perspektiven
Seit diesem Tag hat sich unser Papa-Tochter-Spiel etwas verändert. Wir haben ein eigenes „Leise-Spiel“ entwickelt. Wir bauen Höhlen aus Decken, flüstern uns Geschichten zu und geben uns geheime Handzeichen wie Geheimagenten. Und wenn das Baby schläft, flüstert meine Tochter manchmal: „Pssst, Papa. Mission Schlafschutz beginnt.“
Ich bin mir sicher, dass diese kleinen Rituale, diese feinen Momente, die viel stärkere Verbindung schaffen als jedes wilde Spiel mit Staubsauger-Gitarre.
Manchmal sitzt meine Tochter neben dem Beistellbett, schaut zu ihrer kleinen Schwester und sagt leise: „Sie schläft, Papa. Lass uns ganz still ein Bild malen.“ Und dann sitzen wir da. Mit Wachsmalern, Papier und einer Ruhe, die ich nie erwartet hätte.
Rückblick mit einem Grinsen
Heute – ein paar Jahre später – lache ich über diesen Moment. Nicht, weil ich stolz auf die Szene bin, sondern weil sie so ehrlich war. Ich war übermotiviert. Ich wollte alles auf einmal. Und ich hab dabei vergessen, dass ein Baby keine Lautstärke verträgt, keine Gags braucht und schon gar keine Wohnzimmer-Konzerte mit Staubsaugergitarren.
Aber das war der Moment, in dem ich mich neu kalibriert habe. Als Vater. Als Mensch. Und ja, auch als Partner. Denn meine Frau hat mir in dieser Situation nicht die Ohren langgezogen. Sie hat gelächelt. Müde, aber liebevoll. Und das hat mir gezeigt: Wir wachsen hier zusammen rein. Auch wenn’s manchmal knallt – im wahrsten Sinne.
Was ich anderen Vätern mitgeben will
Du musst nicht perfekt sein. Du musst nicht der lustigste, lauteste, kreativste Papa der Welt sein. Manchmal reicht’s, da zu sein. Wirklich da. Mit Gefühl. Mit Ruhe. Und mit der Bereitschaft, aus jedem Fail eine Lektion zu machen.
Heute weiß ich: Wenn das Baby schläft, ist das Gold. Keine Bühne. Keine Gelegenheit für ein Privatkonzert. Sondern die eine Phase am Tag, in der alles ruhiger werden darf. Und das ist okay.
Ich bin inzwischen deutlich besser im „leise Spaß haben“. Und wenn’s mal wieder laut wird – dann nie direkt neben dem Beistellbett.
Denn am Ende geht’s nicht um Perfektion. Sondern darum, dass man als Vater wächst – mit jedem Fehler, jedem Lächeln und jeder Minute, die man einfach da ist.