Ich bin Vater. Und ich weine. Nicht jeden Tag. Nicht aus jeder Kleinigkeit. Aber manchmal überkommt es mich. Dann sitze ich auf dem Sofa, im Auto oder einfach auf dem Teppichboden zwischen Bauklötzen – und die Tränen kommen. Leise. Oder auch laut. Früher hätte ich das versteckt. Heute nicht mehr. Denn mein Kind hat mir gezeigt, dass Weinen nicht das Gegenteil von Stärke ist. Sondern der Beweis dafür, dass ich noch fühle. Und dass ich da bin. Ganz. Echt.
Die Zeiten, in denen Männer nicht weinen durften
Ich bin mit dem typischen Männerbild aufgewachsen. „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“, „Reiß dich zusammen“, „Du musst stark sein“. Ich hab das geglaubt. Und ich hab es gelebt. Ich war der, der durchzieht, der nicht jammert, der sich zusammenreißt. Und ja, manchmal war ich auch stolz darauf. Weil es einfach war. Weil es funktionierte. Aber es war auch leer. Innen.
Ich kann mich an Situationen erinnern, in denen ich als Junge schon schlucken musste, wenn mir nach Weinen war – weil ich dachte, dass Tränen unangebracht sind. Weil ich dachte, dass ich damit Schwäche zeige. Dieses Denken hat mich viele Jahre begleitet. Und viel in mir verschlossen gehalten.
Dann kam mein Kind. Und mit ihm eine neue Sicht. Auf mich. Auf das Leben. Auf Gefühle. Ich merkte schnell: Kinder machen dich weich. Nicht schwach. Weich im besten Sinne. Durchlässig. Wahrnehmend. Und ehrlich. Und genau das hat mir gefehlt.
Wenn die Tränen kommen – und warum das okay ist
Ich weine, wenn ich überfordert bin. Wenn mich der Alltag auffrisst, die To-do-Listen zu lang und die Nächte zu kurz sind. Ich weine, wenn ich das Gefühl habe, nicht zu genügen. Wenn ich mich zwischen Job und Familienleben zerreibe. Wenn ich merke, dass ich mich verliere. Und manchmal weine ich auch, weil mein Kind mich anschaut – so ehrlich, so offen, so liebevoll – dass es mir das Herz zerreißt.
Manchmal ist es gar kein bestimmter Anlass. Es ist eher ein Gefühl, das sich langsam aufbaut. Eine Mischung aus Müdigkeit, Überforderung, aber auch tiefster Rührung. Ein Blick, ein Satz, eine Geste – und plötzlich bricht etwas auf. Und das darf es. Denn diese Tränen sind ehrlich. Sie befreien. Sie sagen: Hier ist jemand, der fühlt. Der lebt. Der liebt.
Ich weine nicht, um Mitleid zu bekommen. Ich weine, weil es raus muss. Weil da etwas in mir ist, das keinen anderen Weg findet. Und ich habe gelernt, dass genau das wichtig ist. Für mich. Für meine Partnerschaft. Für mein Kind.
Mein Kind – mein Spiegel
Kinder spüren alles. Auch das, was wir nicht sagen. Sie sehen, wenn unsere Augen müde sind, wenn unser Lächeln nicht echt ist. Mein Kind fragt dann manchmal: „Papa, bist du traurig?“ Und ich sage: „Ja, ein bisschen.“ Und dann passiert etwas Magisches: Es nimmt meine Hand. Oder bringt mir ein Kuscheltier. Oder sagt: „Ich bin da.“
Das erste Mal, als das passierte, hab ich noch mehr geweint. Aus Rührung. Aus Dankbarkeit. Aus Überforderung. Aber auch aus einem tiefen Gefühl von Verbundenheit. Denn mein Kind hat mich nicht bewertet. Es hat mich nicht hinterfragt. Es war einfach da. Und das war mehr, als ich in diesem Moment gebraucht hätte.
Und dieses Dasein, diese Offenheit, die heilt. Mehr als jedes gute Gespräch, mehr als jeder Ratschlag. Es ist das bedingungslose Mitfühlen eines Kindes, das keine Worte braucht, sondern einfach Nähe schenkt. So ehrlich, so selbstverständlich.
Warum das so heilsam ist
Getröstet zu werden – nicht als Vater, sondern als Mensch – ist eine Erfahrung, die ich lange nicht kannte. Ich war der Tröster. Der Starke. Der, der alle auffängt. Und plötzlich war ich der, der fällt. Und da war dieses kleine Wesen, das mich auffing. Mit einem Satz. Mit einer Geste. Mit einem Dasein, das lauter war als jedes Wort.
Es hat mir gezeigt: Ich darf fallen. Ich darf fühlen. Ich darf auch mal klein sein. Und das macht mich nicht weniger Vater – sondern mehr Mensch. Und ein Mensch, der sich zeigt, ist ein Mensch, der Nähe zulässt. Genau das, was Kinder brauchen.
Ich habe erkannt, wie wichtig es ist, dass Kinder nicht nur die starken Seiten ihrer Eltern sehen, sondern auch die verletzlichen. Dass sie erfahren, dass Gefühle dazugehören. Dass sie erleben, dass auch Erwachsene weinen dürfen – und dass das nichts Bedrohliches ist.
Über das Loslassen von alten Mustern
Es war nicht leicht, meine Tränen zuzulassen. Ich hab mich geschämt. Ich hab mich gefragt, was mein Kind wohl denkt. Ich hatte Angst, ihm ein falsches Bild zu geben. Aber dann hab ich verstanden: Es gibt kein „falsch“, wenn es um Echtheit geht.
Ich will, dass mein Kind sieht, dass Gefühle dazugehören. Dass Wut, Trauer, Angst genauso okay sind wie Freude, Stolz und Lachen. Ich will, dass es sich traut, zu fühlen – weil es erlebt hat, dass ich das auch tue.
Loszulassen von den alten Glaubenssätzen war ein Prozess. Aber einer, der sich lohnt. Ich merke, wie sich unsere Beziehung verändert hat, seit ich mich mehr zeige. Wie viel tiefer unsere Verbindung ist, wenn ich nicht immer den starken Papa spielen muss – sondern einfach ein echter Mensch bin.
Was mein Kind mir beibringt
Es zeigt mir, dass Weinen kein Zeichen von Kontrollverlust ist – sondern von Vertrauen. Dass Trost nicht immer Lösungen braucht – sondern Präsenz. Dass man nicht groß sein muss, um Halt zu geben.
Ich lerne von meinem Kind jeden Tag. Über mich. Über das Leben. Über das, was wirklich zählt. Es hat eine Klarheit, die ich manchmal verloren glaubte. Und es erinnert mich daran, dass wir nicht stark sind, weil wir alles schaffen – sondern weil wir nicht aufgeben. Auch wenn’s mal bröckelt.
Oft ist es das Kind, das die Verbindung wieder herstellt, wenn ich mich von mir selbst entferne. Mit einem Blick. Mit einem Kichern. Mit einer kindlich einfachen Wahrheit: „Papa, du brauchst eine Pause.“ Und damit hat es meistens recht.
Papa-Sein heißt nicht, immer stark zu sein
Ich glaube, viele Väter tragen diese Maske. Der Macher, der Beschützer, der Problemlöser. Und ja, das gehört auch dazu. Aber nur das? Das macht uns hart. Und manchmal auch einsam.
Seit ich meine Tränen nicht mehr verstecke, fühle ich mich echter. Und freier. Ich erlaube mir Pausen. Ich erlaube mir Schwäche. Und ich merke: Mein Kind verliert nicht das Vertrauen in mich. Im Gegenteil. Es spürt, dass ich da bin – nicht als Superheld. Sondern als echter Papa.
Ich wünsche mir, dass wir Väter aufhören, uns über unsere Funktion zu definieren. Dass wir uns trauen, Mensch zu sein. Mit Fehlern, mit Gefühlen, mit Zweifeln. Denn genau darin liegt unsere Kraft – in der Echtheit. Nicht im Perfektionismus.
Was ich daraus mitnehme – und was ich weitergeben will
Ich will meinem Kind zeigen, dass Gefühle okay sind. Dass man nicht funktionieren muss, um geliebt zu werden. Dass man nicht immer stark sein muss, um Halt zu geben. Ich will, dass es in einer Welt aufwächst, in der Ehrlichkeit zählt – auch die ehrlichen Tränen.
Und ich will, dass andere Väter das auch sehen. Dass sie sich trauen. Sich zeigen. Nicht aus Schwäche. Sondern aus Verbundenheit. Denn am Ende geht’s doch genau darum: Verbindung. Und die entsteht nicht aus Perfektion – sondern aus Echtheit.
Ich wünsche mir mehr Väter, die offen weinen. Die ehrlich sind. Die nicht alles unter Kontrolle haben. Die nicht jeden Schmerz unterdrücken. Denn genau diese Väter zeigen ihren Kindern, dass Menschlichkeit wichtiger ist als Schein. Dass Liebe sich auch in Tränen zeigt.
Mein Fazit: Weinen ist keine Kapitulation, sondern eine Brücke
Wenn ich heute weine, dann nicht heimlich. Nicht mehr. Ich setze mich hin, atme, lasse es zu. Und wenn mein Kind kommt, dann lasse ich es da sein. Ohne Angst, ohne Scham. Und manchmal sagt es dann leise: „Alles wird gut, Papa.“
Und ich glaube ihm. Weil es das ehrlich meint. Und weil ich spüre: Wir sind verbunden. Nicht nur über Lachen und Spielen. Sondern auch über Tränen. Und das ist vielleicht das Schönste, was ein Papa erleben kann.
Ich bin nicht weniger Mann, weil ich weine. Ich bin nicht weniger Vater. Ich bin einfach ein Mensch – mit Herz, mit Wunde, mit Gefühl. Und wenn mein Kind mich so sieht, dann weiß ich: Ich mache etwas richtig. Nicht alles. Aber etwas sehr Wesentliches.