Es gibt Tage, an denen du denkst: Heute mach ich mal nichts nach Plan. Einfach in den Tag hineinleben. Kein Zettel, keine App, keine nervigen Erinnerungen auf dem Handy. Nur ich, der Alltag und meine Intuition. Klingt entspannt, oder?
Spoiler: War es nicht.
Denn dieser Tag, an dem ich beschloss, ohne meine geliebte To-do-Liste durchzukommen, entwickelte sich schneller zum Chaos-Experiment als mein Kleinkind „Nein!“ sagen kann. Und das will was heißen.
Der Morgen beginnt… irgendwie
Normalerweise starte ich den Tag mit einem kurzen Blick auf meine Liste: Was steht an? Kita? Einkauf? Müll rausbringen? Meistens steht dort auch sowas wie: „Arzttermin für die Kleine machen“ oder „Geburtstagsgeschenk für Schwiegermutter besorgen“.
An diesem Tag? Nichts. Kein Plan. Ich verlasse mich auf mein Gedächtnis. Ein großer Fehler, wie sich zeigen wird.
Der Morgen beginnt relativ harmlos. Die Kinder sind erstaunlich gut drauf, keiner hat Haferflocken durch die Küche geworfen (noch nicht), und ich bilde mir ein, dass mein innerer Kompass mich sicher durch diesen Tag führen wird. Ich mache Frühstück, räume auf, vergesse aber beim Brotschmieren, dass wir kein Brot mehr haben. Also improvisiere ich mit Reiswaffeln und Marmelade. Die Begeisterung der Kinder hält sich in Grenzen.
Danach geht’s weiter mit dem typischen Papa-Multitasking: Zähneputzen mit Baby auf dem Arm, Socken suchen (natürlich nur Einzelstücke auffindbar), und der Versuch, einen halbwegs ordentlichen Eindruck zu machen. Ich verlasse das Haus mit dem Gefühl, irgendetwas vergessen zu haben. Ich ahne zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie recht ich damit habe.
Erste Gedächtnislücke: Der Kinderarzt
Noch während ich die Müslischüssel vom Boden kratze, ruft meine Frau aus dem Badezimmer: „Denkst du an den Kinderarzttermin?“
Ich erstarre. Mist. Natürlich nicht. Ich hatte ihn nicht aufgeschrieben. Und ohne Erinnerung in der App war ich ahnungslos. Ich greife zum Telefon, rufe panisch an. Wir dürfen trotzdem noch kommen – mit Verspätung. Also rein in die Klamotten, Windelwechsel in Rekordzeit, Jacke suchen (die im Wäschekorb liegt, warum auch immer) und los.
Ich merke schon jetzt: Mein innerer Kompass ist eher eine Wetterfahne im Sturm.
Im Wartezimmer des Arztes wird das Gedächtnis weiter auf die Probe gestellt. Ich soll sagen, wann das Kind zuletzt geimpft wurde. Ich stammle irgendwas von „vor ein paar Monaten“. Der Blick der Arzthelferin spricht Bände. Ich schwöre mir: Wieder mehr notieren.
Zweite Lücke: Das Mittagessen
Nach dem Arzt geht’s zurück nach Hause. Ich bin stolz, weil ich sogar an die Krankenkassenkarte gedacht habe. Aber der Stolz hält genau bis zum Blick in den Kühlschrank: gähnende Leere.
Kein Brot, kein Käse, kein Gemüse. Ein halber Joghurt, eine braune Banane und ein Glas Gurken. Ich improvisiere. Wieder. Ich nenne es „kreative Resteverwertung“. Die Kinder nennen es „Igitt“.
Während ich koche (naja, aufwärme), fällt mir auf, dass ich den Müll nicht rausgebracht habe – und dass heute Müllabfuhr ist. Ich stürme zur Tonne. Zu spät. Der LKW fährt gerade weg. Ich winke dem Fahrer hinterher. Er winkt zurück. Und lacht. Ich nicht.
In diesem Moment klingelt das Handy. Ein Freund erinnert mich an unseren geplanten Anruf wegen der gemeinsamen Urlaubsplanung. Ich sage ab – keine Zeit. Warum? Weil ich keine Ahnung habe, was heute noch alles auf mich wartet.
Dritte Lücke: Der Wäscheberg
Nach dem Mittagessen will ich die Kinder zum Mittagsschlaf bewegen. Klappt nicht. Sie sind aufgekratzt. Ich gebe auf. Stattdessen schnappe ich mir den Wäschekorb. Der Berg ist episch. Aber ich bin motiviert – bis ich feststelle, dass ich die Waschmittel-Nachfüllpackung letzte Woche aufgebraucht habe. Und natürlich nicht nachgekauft. Weil es auf keiner Liste stand.
Ich finde eine halb leere Reisegröße im Schrank. „Das reicht für eine Ladung“, denke ich. Es reicht für ein Drittel. Ich wasche trotzdem. Was soll schon passieren? (Spoiler: Die Hälfte riecht nach nichts, die andere nach gekippter Lavendel.)
Der Trockner ist überfüllt, die Socken haben sich verabschiedet, und das Spannbettlaken wickelt sich wie eine Python um alle anderen Kleidungsstücke. Ich gebe auf. Und lasse die Maschine einfach piepen. Vielleicht sortiert sie sich von selbst.
Nachmittags-Desaster mit Windel und Kuchen
Ich will später mit den Kindern raus. Frische Luft, Spielplatz, du kennst das. Doch schon beim Anziehen kommt die nächste Erkenntnis: Keine Windeln mehr. Also ab zum Supermarkt. Natürlich ohne Einkaufszettel.
Ich komme zurück mit Windeln, ja. Aber auch mit Keksen, einem Spielzeugbagger, drei Dosen Ravioli und einem Kürbiskernbrot (das wieder keiner mag). Was ich vergessen habe? Kaffee. Mein Lebenselixier.
Während ich versuche, das Nachmittagschaos mit Apfelschorle und Obstteller zu bändigen, klingelt es. Die Nachbarin steht da – mit einem Kuchen in der Hand. „Danke für die Einladung heute Nachmittag! Schön, dass du’s nicht vergessen hast.“
Ich? Natürlich vergessen. Ich lächle gequält, lasse sie rein, verteile Kuchenteller – und frage mich, wie ich ohne Liste je überlebt habe.
Abendroutine – ohne Plan, aber mit Gefühl
Die Kinder sind müde, aber nicht kooperativ. Ich verhandle über Zähneputzen, erzähle eine improvisierte Gutenachtgeschichte über ein Krokodil, das seine To-do-Liste verloren hat (pädagogisch fragwürdig, aber thematisch passend), und schaffe es irgendwie, sie ins Bett zu bringen.
Danach versuche ich mich an meinen eigenen Aufgaben. Ich wollte noch eine Mail schreiben, etwas recherchieren, eine Onlinebestellung erledigen – aber mir fällt nichts mehr ein. Mein Kopf ist leer. Kein Zettel. Kein Reminder. Nur Müdigkeit.
Erkenntnis am Abend
Als die Kinder endlich im Bett sind (nach vier Vorlesegeschichten, zwei Milchfläschchen und einem langen Gespräch über Regenwürmer), sitze ich auf dem Sofa. Ich sehe mich um. Auf dem Tisch: eine Windelpackung, ein halber Apfel, ein halb gegessenes Butterbrot und ein Kalender – offen, leer.
Ich lache. Dann atme ich durch. Und greife zum Stift. Mit dem ersten Strich notiere ich: „Liste schreiben für morgen.“ Danach folgen zehn weitere Punkte. Mein Gehirn atmet auf.
Fazit: Listen retten Leben – oder zumindest den Alltag
Ein Tag ohne To-do-Liste klang in meiner Fantasie nach Freiheit. In Wahrheit war’s wie Autofahren ohne Navi, Kochen ohne Rezept und Schlafen ohne Kissen – möglich, aber nicht schön.
Listen sind kein Zeichen von Spießigkeit. Sie sind kleine Rettungsringe im Familienchaos. Sie sagen dir nicht nur, was du tun musst – sie geben dir auch das gute Gefühl, dass du was geschafft hast. Sie sind der rote Faden im Tohuwabohu.
Also ja, morgen gibt’s wieder eine Liste. Mit Punkt Nummer eins: „Nie wieder ohne Liste anfangen.“
Und vielleicht auch Punkt zwei: „Socken sortieren.“