Ich hab ja früher gedacht, ich wüsste, was müde ist. Nach durchzechten Nächten, nach Festival-Wochenenden, nach Uni-Klausuren und zu viel Netflix bis drei Uhr morgens. Aber das war kein echter Schlafmangel. Das war Freizeit-Jetlag mit Ausschlaf-Garantie.
Richtiger, ehrlicher, ungefilterter Schlafmangel beginnt mit der Geburt deines Kindes. Und der hört auch nicht einfach wieder auf – er verändert dich. Dein Körper. Deinen Geist. Deine Beziehung. Dein Zeitgefühl. Deinen Blick in den Spiegel.
Ich hab mich deshalb entschieden, ein kleines Experiment zu machen: Papa & Schlafmangel – ein Selbstversuch mit allem, was dazugehört. Mit Augenringen, Koffein, Trotzphasen und nächtlichem Dauertragen. Spoiler: Es wurde real.
Woche 1: Die Euphorie ist stärker als die Müdigkeit – noch
Unser Baby kam pünktlich, gesund und laut. Und in den ersten Tagen dachte ich noch: Alles halb so wild. Klar, wenig Schlaf, viel Nähe, kurze Nächte – aber mein Adrenalin-Level war auf Formel-1-Niveau.
Ich war in Dauerbewegung. Stillkissen richten, Wasser bringen, Windeln wechseln, Besuch abwehren. Ich hab kaum geschlafen, aber das war okay. Ich war Papa! Und Papas sind stark. Dachte ich.
Nachts wachte ich bei jedem Mucks auf. Reflexartig. Ich fühlte mich gebraucht – und das fühlte sich gut an. Auch wenn ich irgendwann den Unterschied zwischen Tag- und Nachtlicht nicht mehr erkannte.
Woche 2: Wenn 2 Stunden Schlaf sich anfühlen wie ein Wellness-Tag
Die zweite Woche traf mich wie ein Backstein. Ich wusste plötzlich nicht mehr, welcher Wochentag ist. Mein Körper schaltete auf Notstrom. Ich funktionierte – aber mehr war nicht drin.
Mein Baby hatte die magische Fähigkeit, genau dann aufzuwachen, wenn ich gerade eingeschlafen war. Mein Gehirn entwickelte eine Art Alarmbereitschaft, die jede Tiefschlafphase torpedierte.
Ich merkte, wie ich fahriger wurde. Vergesslicher. Ich stellte mein Handy ins Tiefkühlfach (fragt nicht). Ich schloss die Haustür zweimal ab und vergaß die Einkäufe im Flur. Ich war da – aber nicht wirklich anwesend.
Woche 3: Kaffee ersetzt Liebe nicht, hilft aber beim Überleben
Ich hatte meinen Koffeinverbrauch verdreifacht. Morgens Filterkaffee, mittags Espresso, abends Koffeintablette. Ich hatte gelernt, wie man mit Baby in der Trage Kaffee kocht – einarmig, auf Zehenspitzen, mit einem Blick auf das Babyfon.
Aber: Kaffee ersetzt keinen Schlaf. Er schmiert nur die rostigen Zahnräder. Und irgendwann läuft der Motor trotzdem nicht mehr rund.
In Woche drei hatte ich das erste Mal einen Mini-Zusammenbruch. Ich saß nachts um vier auf dem Teppich, Baby in der Armbeuge, und hab geweint. Vor Müdigkeit. Vor Frust. Vor diesem Gefühl, einfach mal eine Pause zu brauchen. Fünf Minuten. Nur kurz.
Meine Partnerin setzte sich zu mir. Sagte nichts. Lehnte sich nur an. Und das war in dem Moment mehr wert als jeder Schlaf.
Woche 4: Schlafmangel macht komisch – und kreativ
Ich fing an, im Halbschlaf zu reden. Meine Partnerin behauptet bis heute, ich hätte einmal „Ich bin der König der Schnullerwelt“ gesagt. Ich glaube ihr. Ich hatte Visionen von durchschlafenden Babys, die mir winkten. Ich lachte manchmal ohne Grund. Und weinte kurz danach.
Aber: Ich wurde auch erfinderisch. Ich lernte, wie man mit geschlossenen Augen wickelt. Wie man mit dem kleinen Finger das Zahnfleisch massiert, während man mit dem großen Zeh ein Spielzeug anstupst.
Ich entwickelte eine Art Nacht-Routine, die mich fast in Trance versetzte: Aufstehen, Baby nehmen, Stillposition vorbereiten, Windel checken, Bäuerchen, ablegen, streicheln, hoffen. Und wieder von vorn.
Monat 2: Wenn du dich an den Zustand gewöhnst – leider
Irgendwann wurde der Schlafmangel zum Dauerzustand. Mein Körper passte sich an. Ich schlief nicht mehr tief, aber effizient. Ich lernte, mit fünf Stunden Schlaf in drei Portionen irgendwie den Tag zu meistern.
Ich gewöhnte mir an, jedes kleine Zeitfenster zu nutzen. Zehn Minuten Powernap auf der Couch. Fünf Minuten Augenschließen auf dem Badewannenrand. Ich wurde zum Schlaf-Ninja.
Aber ehrlich: Ich war nicht mehr ich selbst. Ich war gereizt. Unkonzentriert. Ich vergaß Geburtstage. Ich wurde ungeduldiger. Und ich hatte diesen leeren Blick im Spiegel, der mir sagte: Junge, du brauchst Schlaf. Und zwar dringend.
Die Beziehung im Schlafloch – Nähe trotz Augenringen
Was der Schlafmangel mit unserer Beziehung machte? Viel. Und nicht alles davon war schön.
Wir redeten weniger. Kuschelten kaum. Jeder hing in seiner eigenen Überlebensblase. Manchmal zickten wir uns an, wegen Kleinigkeiten. Zahnpastatube. Einkaufszettel. Das falsche Lätzchen.
Aber: Wir fanden Wege. Wir schrieben uns Zettel. Wir schickten uns Sprachnachrichten – aus dem Nebenraum. Wir lernten, nicht jede Reaktion persönlich zu nehmen. Und wir machten uns immer wieder klar: Es ist eine Phase. Kein Dauerzustand. Auch wenn es sich so anfühlt.
Was half – und was nicht
Hilfreich waren:
- Schichtsystem (wenn möglich): Einer schläft, einer ist dran. Auch tagsüber.
- Besuch, der wirklich hilft: Also nicht nur Baby halten, sondern Wäsche machen, kochen, abwaschen.
- Powernaps. Ja, immer wieder Powernaps.
- Humor. Viel Humor. Auch schwarzer.
Weniger hilfreich:
- Gutgemeinte Ratschläge à la „Schlaf doch einfach, wenn das Baby schläft“.
- Instagram-Eltern mit perfekt geschminkten Augenringen.
- Der Versuch, alles zu schaffen wie vorher. Vergiss es.
Papa im Zombie-Modus – und warum es trotzdem gut war
Ich hab in dieser Zeit Seiten an mir entdeckt, von denen ich nicht wusste, dass es sie gibt. Geduld, die ich nie hatte. Kreativität im Chaos. Stärke im völligen Knock-out-Zustand.
Ich habe mein Kind nachts stundenlang getragen. Geschichten erzählt, obwohl ich selbst nicht wusste, worum es ging. Ich habe ihn angeschaut und gedacht: Für dich tue ich das alles. Und mehr. Ohne zu zögern.
Und irgendwann – kamen die ersten längeren Schlafphasen. Zwei Stunden am Stück. Dann drei. Irgendwann vier. Und ich merkte: Ich komme langsam zurück. Ich werde wieder klarer. Fokussierter. Ich kann wieder denken, lesen, lachen.
Aber ich vergesse nie, wie es war. Die Nächte. Die Erschöpfung. Das Gefühl, an der Grenze zu sein – und trotzdem weiterzumachen.
Fazit: Schlafmangel ist kein Witz – aber auch nicht das Ende
Wenn du gerade mitten in der Babyzeit steckst und kaum noch weißt, wie du heißt – ich fühle dich. Es ist hart. Es ist mühsam. Es ist manchmal zum Schreien.
Aber es geht vorbei. Wirklich. Und du wächst daran. Du lernst Dinge über dich, die du nie vermutet hättest. Und wenn du dann irgendwann im Bett liegst, dein Kind schläft – und du hast zwei Stunden am Stück vor dir – dann fühlt sich das an wie ein All-Inclusive-Wellnessurlaub.
Papa sein heißt nicht nur spielen, toben, Blödsinn machen. Papa sein heißt auch: nächtliche Schichten schieben. Schlaf opfern. Durchhalten. Und trotzdem lieben. Mit Augenringen. Mit Tränensäcken. Mit Stolz.