Ich schwöre dir: Vor der Schwangerschaft dachte ich, Heißhungerattacken wären ein Mythos. So ein Klischee aus romantischen Komödien – sie liegt mit Babybauch auf dem Sofa und verlangt plötzlich nach Essiggurken mit Schokostreuseln. Ha! Ich sollte eines Besseren belehrt werden. Denn was in den kommenden Monaten auf mich zukam, war eine Mischung aus Küchenmarathon, Nachtschicht und Improvisationstheater.
Wenn der Magen plötzlich zum Diktator wird
Es war irgendwann um Woche acht herum, als meine Frau mich nachts um halb zwei weckte. Nicht wegen Übelkeit, nicht wegen Rückenschmerzen – sondern wegen… Linsensuppe. Ja, du hast richtig gelesen. Sie saß im Bett, sah mich mit großen Augen an und sagte: „Ich könnte jetzt SO Linsensuppe essen.“ Ich hab’s für einen Scherz gehalten. War’s aber nicht.
Und da stand ich also. Im Schlafanzug, müde, hungrig und verwirrt, in unserer kleinen Küche und kramte Linsen aus dem Vorratsschrank. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals um 2 Uhr nachts eine Zwiebel in Würfel schneide, während meine Frau im Wohnzimmer sitzt und sich fragt, ob ein Klecks Senf das Ganze noch besser machen würde. Es war der Beginn einer neuen nächtlichen Routine.
In den Tagen danach hatte ich fast das Gefühl, der Kühlschrank sei ein Orakel: Man weiß nie, was er einem offenbart. Einmal waren es Aprikosen mit Hüttenkäse, dann saure Gurken mit Honig – alles musste „genau jetzt“ her. Und wehe, ich schlug eine Alternative vor. Ich lernte schnell: Diskussion zwecklos, der Magen regiert absolutistisch.
Das Lustige (und leicht Absurde) an der ganzen Sache
Es blieb natürlich nicht bei der Linsensuppe. In den folgenden Wochen hatte ich eine kulinarische Reise durch alle erdenklichen Gelüste meiner Frau. Von Pfirsichen mit Balsamico über Käsebrote mit Nutella bis hin zu einem ganz speziellen Joghurt, den es nur in einem einzigen Bioladen in der ganzen Stadt gab. Und dieser hatte natürlich montags Ruhetag.
Es gab auch die “Phase der warmen Milch mit Honig”, die immer exakt um 21:37 Uhr einsetzte. Oder der plötzliche Wunsch nach Asia-Nudeln – aber bitte nur von diesem einen Lieferservice, der leider keine Nachtschicht hatte. Ich wurde zum Lieferantenscout, Koch, Einkäufer und Mood-Manager in Personalunion. Mein Google-Verlauf bestand plötzlich aus Dingen wie: „Was kann man mit überreifen Mangos kochen?“ und „Nachts geöffnete Supermärkte in der Nähe“.
Teamplayer mit Küchenschürze
Ich hab irgendwann gelernt, das Ganze sportlich zu nehmen. Statt mich zu ärgern, hab ich angefangen, kleine Challenges daraus zu machen: Wie schnell finde ich das passende Rezept? Wie kreativ kann ich mit Resten zaubern? Und ganz ehrlich – es hat was. Diese gemeinsame Zeit in der Küche, selbst wenn einer von uns nur auf dem Hocker sitzt und sagt: „Mehr Salz.“ Es ist Teamarbeit auf einem ganz neuen Level.
Manchmal war es wie ein kleines Ritual: Ich holte die Zutaten, sie legte Musik auf, und während der Reis vor sich hin köchelte, unterhielten wir uns über Namen, Geburtspläne oder einfach über die absurde Idee, ein ganzes Menschenkind großzuziehen. Die Küche wurde zu unserem kleinen nächtlichen Rückzugsort, während draußen alles still war.
Natürlich hatte ich auch meine Tiefpunkte. Nächte, in denen ich einfach nur schlafen wollte. Momente, in denen ich das Wort „Avocado“ nicht mehr hören konnte. Abende, an denen ich mir wünschte, dass sie einfach mal wieder auf etwas Lust hätte, das man mit einem Löffel Erdnussbutter lösen kann. Aber hey – ich wusste, warum ich’s mache. Und irgendwie war jede spontane Kochsession auch ein kleiner Liebesbeweis.
Was ich aus den nächtlichen Küchenschlachten gelernt habe
- Heißhunger ist nicht verhandelbar. Wenn sie etwas will, dann JETZT. Nicht später. Nicht morgen. Jetzt.
- Vorräte retten Leben. Wir hatten irgendwann immer Bananen, Erdnussbutter, Gurken und Cracker daheim – man weiß ja nie.
- Humor hilft. Wirklich. Wenn du um 1:30 Uhr Bananen brätst, ist Lachen besser als Fluchen.
- Flexibilität ist alles. Die Küche muss nicht perfekt sein, das Essen auch nicht – nur das Timing zählt.
- Und ganz wichtig: Man wächst an den Herausforderungen. Nicht nur als Koch, sondern als Partner.
Und vielleicht das Wichtigste: Diese Phasen gehen vorbei. Irgendwann will sie nicht mehr nachts kochen, sondern schlafen. Und du wirst diese verrückten Momente fast vermissen. Echt jetzt.
Fazit: Es geht nicht nur ums Essen – es geht ums Dasein
Was ich wirklich verstanden habe: Es geht bei diesen Heißhunger-Attacken nicht nur ums Stillen eines Gelüstes. Es geht ums Gesehenwerden, ums Ernstgenommenwerden, ums Miteinander. Ich war in diesen Momenten nicht nur der Koch, sondern der Typ, der sagt: „Ich bin da. Ich helf dir. Selbst wenn du dir jetzt Currywurst mit Vanillepudding wünschst.“
Es war mehr als nächtliches Kochen – es war ein stilles Versprechen. Ein „Ich geh mit dir durch diese Zeit“. Und ganz ehrlich – wenn ich mir irgendwann diese Nächte zurück ins Gedächtnis rufe, dann denke ich nicht an die Müdigkeit. Ich denke an ihr Lächeln, wenn ich ihr den Teller hinstellte. An das zufriedene Seufzen nach dem ersten Bissen. An die Wärme, die durch diese einfachen Momente entstanden ist.
Und vielleicht – ganz vielleicht – koch ich dem kleinen Menschen, der da bald ankommt, irgendwann mal genau dieselbe Linsensuppe. Um zwei Uhr nachts. Einfach, weil ich’s kann.