Früher war ich der Typ, der beim Bäcker genervt wurde, wenn jemand zu lange die Brötchenauswahl studierte. Ich hab Ampelschaltungen analysiert, Einkaufslisten optimiert und im Urlaub schon den übernächsten Programmpunkt geplant, während ich noch den ersten Kaffee trank. Ich war ein Getriebener. Im Job, im Alltag, im Kopf. Dann wurde ich Vater – und alles kam anders. Nicht, weil plötzlich alles leichter wurde. Sondern weil ich gezwungen war, langsamer zu werden. Und weil ich dabei etwas entdeckt habe, das ich vorher gar nicht kannte: innere Ruhe.
Der Takt der Welt – und mein innerer Hochleistungsmodus
Ich habe mein Leben lange im Schnellgang gelebt. Immer on. Immer bereit. Immer der Erste, der antwortet, springt, organisiert. Ich mochte das Gefühl, gebraucht zu werden. Kontrolle zu haben. Alles im Griff. Aber irgendwann hat mich dieser Rhythmus ausgebrannt. Ich hatte nie Zeit. Oder besser: Ich nahm sie mir nicht.
Selbst Freizeit war durchgeplant. Joggen, Netflix, Freunde treffen, alles getaktet wie ein Stundenplan. Und dann kam da dieses kleine Wesen in mein Leben. Mit riesigen Augen und null Zeitgefühl. Und plötzlich war alles anders.
Der Anfang: Laut, chaotisch, überwältigend
Die ersten Monate mit Baby waren alles – nur nicht ruhig. Es war laut, fordernd, schlaflos. Ich war überfordert, erschöpft, manchmal sogar verzweifelt. Und doch war da auch etwas anderes. Eine neue Art von Fokus. Denn während um mich herum Chaos herrschte, lernte ich: Ich muss nicht alles kontrollieren. Ich muss nur da sein.
Und das war schwerer als gedacht. Denn „einfach nur da sein“ war neu für mich. Kein Ziel, kein Output, kein Applaus. Einfach da sitzen, Kind halten, atmen. Erst war das frustrierend. Dann beruhigend. Und irgendwann: heilsam.
Die ersten Lektionen: Geduld, Hingabe und Loslassen
Mein Kind hat mich gezwungen, präsent zu sein. Babys interessieren sich nicht für To-dos oder Deadlines. Sie leben im Moment. Und sie holen dich genau da ab. Ob du willst oder nicht. Am Anfang hab ich oft auf die Uhr geschaut. Wie lange noch bis zum nächsten Schläfchen? Wie lange noch bis zum Abend? Wie lange noch, bis ich wieder „ich“ sein darf?
Heute weiß ich: Ich war nie mehr ich als in diesen Momenten. Weil ich nicht funktioniert hab. Sondern einfach nur war. Still, schaukelnd, atmend. Mit diesem kleinen Menschen auf meiner Brust, der nicht mehr wollte, als dass ich da bin.
Kleine Hände, große Wirkung
Kinder haben die faszinierende Fähigkeit, dein Tempo zu drosseln – und du merkst es nicht mal. Plötzlich stehst du eine halbe Stunde vor einem Gullydeckel, weil dein Kind entdeckt hat, dass da Wasser glitzert. Du gehst spazieren und brauchst für zehn Meter zehn Minuten, weil jeder Stein angefasst werden will. Früher hätte mich das wahnsinnig gemacht. Heute? Nenne ich das Meditation.
Ich hab gelernt, meine Umgebung mit anderen Augen zu sehen. Dinge wahrzunehmen, die ich sonst übersehen hätte. Wolken, Käfer, das Geräusch von Wind in Bäumen. Nicht, weil ich ein besserer Mensch geworden bin. Sondern weil mein Kind mich dazu gebracht hat, stehen zu bleiben. Hinzuschauen. Und das verändert alles.
Der Umgang mit Stress – mein neues Ich
Früher war Stress für mich ein Normalzustand. Ich war gereizt, ungeduldig, schnell auf 180. Heute? Bin ich immer noch manchmal genervt. Aber anders. Ich merke schneller, wenn es zu viel wird. Ich atme mehr. Ich rede ruhiger. Und ich kann Dinge stehen lassen. Das hat mich niemand so eindrücklich gelehrt wie mein Kind.
Einmal hat mein Sohn mitten im größten Morgenchaos – Jacke noch nicht an, Brotdose nicht fertig, Schuhe verschwunden – zu mir gesagt: „Papa, wir haben Zeit. Die Kita läuft nicht weg.“ Ich musste lachen. Und ich hab die Jacke erst mal liegen lassen. Wir haben gemeinsam geatmet. Und ja, wir kamen ein paar Minuten zu spät. Aber wir kamen entspannt an. Und das war mehr wert als jede Pünktlichkeit.
Rituale statt Routinen
Was mir wirklich geholfen hat, ruhiger zu werden, sind Rituale. Nicht als starre Regeln, sondern als Anker im Tag. Unser gemeinsames Frühstück, bei dem auch mal eine Banane als Mikrofon herhält. Das tägliche Vorlesen, egal wie wild der Tag war. Das Gute-Nacht-Lied, das immer gleich klingt – und immer anders ist.
Diese Rituale geben Struktur. Aber sie geben auch Raum. Raum für Nähe, für Verbindlichkeit, für Leichtigkeit. Sie helfen mir, den Tag nicht nur zu überstehen, sondern bewusst zu erleben. Und sie zeigen mir jeden Abend: Es ist okay, wenn nicht alles geschafft ist. Hauptsache, wir waren verbunden.
Mein Blick auf Zeit hat sich verändert
Früher war Zeit für mich ein knappes Gut. Etwas, das mir ständig davonlief. Heute ist Zeit für mich ein Geschenk. Und das liegt nicht daran, dass ich plötzlich mehr davon hätte – sondern dass ich sie anders nutze. Ich verschwende Zeit mit meinem Kind. Ganz bewusst. Und genau das ist das Gegenteil von Verschwendung.
Wenn wir im Park sitzen und Steine sortieren, wenn wir eine halbe Stunde lang ein Buch anschauen, das ich schon auswendig kenne – dann bin ich ruhig. Nicht weil alles still ist, sondern weil mein Inneres zur Ruhe kommt. Ich bin angekommen. Bei mir. Bei uns.
Was mein Kind mir beigebracht hat
Mein Kind hat mir nicht beigebracht, wie man ruhig wirkt – sondern wie man ruhig ist. Von innen heraus. Durch Akzeptanz. Durch Verbindung. Durch das Vertrauen, dass nicht alles perfekt sein muss. Und dass Fehler dazugehören.
Ich hab durch mein Kind gelernt, loszulassen. Kontrolle, Perfektion, Tempo. Und ich hab dadurch etwas viel Größeres gewonnen: Gelassenheit. Und diese Gelassenheit wirkt über den Familienalltag hinaus. Auch im Job bin ich heute ruhiger. In Konflikten klarer. In Entscheidungen bewusster. Nicht immer. Aber immer öfter.
Natürlich bin ich nicht erleuchtet
Versteh mich nicht falsch: Ich flippe auch heute noch aus, wenn die Milch über den Tisch läuft, obwohl ich dreimal „Pass auf“ gesagt hab. Ich bin auch mal laut, auch mal unfair, auch mal genervt. Ich bin nicht zen. Ich bin Papa. Und das ist laut und leise zugleich.
Aber: Ich komme schneller zurück. Ich erkenne meine eigenen Muster. Ich kann mich entschuldigen. Ich kann sagen: „Tut mir leid, ich war gerade zu laut.“ Und das ist vielleicht die größte Ruhe, die ich gelernt habe: Die, mit mir selbst.
Was ich anderen Vätern sagen will
Wenn du das Gefühl hast, ständig unter Strom zu stehen – du bist nicht allein. Und: Es muss nicht so bleiben. Dein Kind kann dein größter Lehrmeister sein. Nicht mit Worten, sondern mit seinem ganzen Sein. Schau hin. Hör zu. Lass dich ein. Und erwarte nicht, dass du sofort ruhiger wirst. Es ist ein Prozess. Aber es ist ein schöner.
Fang mit kleinen Momenten an. Lass das Handy mal liegen. Setz dich auf den Boden. Folge deinem Kind. Nicht als Erzieher, sondern als Entdecker. Du wirst staunen, was du findest. Und vielleicht findest du – wie ich – dabei ein Stück von dir selbst wieder. Ein ruhigeres Stück.
Mein Fazit: Ruhiger werden heißt nicht, weniger zu fühlen
Früher dachte ich, Ruhe bedeutet Gleichgültigkeit. Heute weiß ich: Es bedeutet Tiefe. Es bedeutet, präsent zu sein, ohne zu drängen. Klar zu sein, ohne zu kontrollieren. Stark zu sein, ohne laut zu werden. Und das habe ich durch mein Kind gelernt.
Ich bin durch mein Kind ruhiger geworden. Nicht leiser. Sondern echter. Und das ist für mich eines der größten Geschenke, die die Vaterschaft mir gemacht hat. Jeden Tag neu.